Erdogan schickt SMS an alle Türken
„Widerstand nicht aufgeben!“
Damit es in der Türkei zu keinem weiteren Putschversuch kommt, ruft Präsident Erdogan sein Volk zu Demonstrationen gegen Putschisten auf. Seinen Appell bekommt jeder per Kurznachricht auf sein Handy geschickt.
Nach der Verhängung des Ausnahmezustands in der Türkei hat Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Landsleute zu weiteren Demonstrationen gegen Putschisten aufgerufen. Der dreimonatige Ausnahmezustand, den der Staatschef am Mittwochabend verhängt hatte, wurde von den meisten türkischen Medien begrüßt. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ermahnte die türkische Regierung jedoch zur Wahrung der „Verhältnismäßigkeit“
Erdogan schrieb am Donnerstagmorgen eine SMS an sämtliche Handys des Landes. Darin heißt es: „Mein liebes Volk, gib nicht den heroischen Widerstand auf, den Du für Dein Land, Deine Heimat und Deine Fahne gezeigt hast.“ Mit den Worten „die Besitzer der Plätze sind nicht die Panzer. Die Besitzer sind die Nation“, rief er zu neuerlichen Kundgebungen auf.
Erdogan hatte während des Putschversuchs von Teilen des Militärs am Freitagabend im Fernsehen die Türken aufgerufen, sich auf den Straßen den Putschisten entgegenzustellen. Seine Anhänger waren zu Tausenden dem Appell gefolgt und hatten damit wesentlich dazu beigetragen, dass der Putschversuch scheiterte. Seitdem demonstrieren jeden Abend Tausende Menschen in Istanbul, Ankara und anderen Städten.
Ausnahmezustand soll Demokratie nicht einschränken
Erdogan hatte am Mittwochabend nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats einen dreimonatigen Ausnahmezustand verhängt. Dies sei notwendig, um rasch „alle Elemente entfernen zu können“, die in den Putschversuch verstrickt seien, sagte er. Er versicherte, der zuletzt vor knapp 15 Jahren verhängte Ausnahmezustand werde die Demokratie nicht einschränken und diene vielmehr ihrem Schutz.
„Ausnahmezustand gegen den umstürzlerischen Terrorismus“, titelte die Zeitung „Habertürk“, während „Star“ schrieb: „Ausnahmezustand für die Putschisten, Ruhe für die Bewohner.“ Die Zeitung „Zaman“, die bis zu ihrer Übernahme durch die Regierung im März zur Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen gehörte, schrieb, „die Verräter“ der Gülen-Bewegung würden aus dem Staatsdienst entfernt werden.
Erdogan macht seinen in den USA lebenden Rivalen Gülen für den Putschversuch verantwortlich. In der Folge wurden Tausende Soldaten, Polizisten und Beamte unter dem Verdacht festgenommen, an dem versuchten Umsturz beteiligt gewesen zu sein. Zehntausende weitere Staatsbedienstete, darunter Richter, Staatsanwälte, Hochschuldozenten und Lehrer, wurden entlassen oder versetzt. Die EU und andere westliche Partner reagierten besorgt.
Steinmeier: Ausnahmezustand muss beschränkt bleiben
„Bei allen Maßnahmen, die der Aufklärung des Putschversuchs dienen, müssen Rechtsstaatlichkeit, Augenmaß und Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben“, mahnte Steinmeier. „Nur die belegbare Verwicklung in strafbare Handlungen, nicht die mutmaßliche politische Gesinnung, darf der Auslöser staatlicher Maßnahmen sein.“ Der Ausnahmezustand müsse „auf die unbedingt notwendige Dauer“ beschränkt bleiben.
Das Auswärtige Amt empfahl Reisenden dringend, immer ein gültiges Ausweisdokument mit sich zu führen. „Ausgangssperren können nun überall kurzfristig verhängt und allgemeine Personenkontrollen jederzeit durchgeführt werden“, heißt es in einem aktualisierten Reisehinweis. Das Ministerium riet „zu äußerster Vorsicht“, insbesondere bei Menschenansammlungen in Ankara und Istanbul.
Österreichs Außenminister Sebastian Kurz bestellte den türkischen Botschafter in Wien ein, um über die jüngsten Ereignisse zu sprechen. Kurz verurteilte im Sender Ö1 die Entlassung Tausender Staatsbediensteter, die massiven Eingriffe in das Justizsystem und die Verhaftungswelle in der Türkei als „inakzeptabel“. Er äußerte die Sorge, dass die Türkei „immer autoritärere Züge“ annehme.
Der deutsche Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir forderte einen Abbruch der seit 2005 laufenden EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Es sei „sinnlos“, über einen türkischen Beitritt zu verhandeln, solange Erdogan Präsident ist, sagte Özdemir dem „Mannheimer Morgen“. Die EU sollte die Verhandlungen „unabhängig von der Todesstrafe jetzt auf Eis legen“.
von
Günter Schwarz – 22.07.2016