Was ist über den mutmaßlichen München-Täter Ali David Sonboly am Tag nach der schrecklichen Tat in dem Münchner Einkaufszentrum bekannt? Aktuell gibt es keine Hinweise, dass der 18-Jährige Deutsch-Iraner Ali David Sonboly Kontakte zur radikal-islamistischen Szene hatte. Viel mehr scheint er psychische Probleme gehabt zu haben.

»Spiegel Online« berichtet, dass ein Spezialeinsatzkommando eine Wohnung in der Münchner Vorstadt noch in den Nachtstunden gestürmt habe, in der Sonboly bei seinen Eltern gewohnt hat. Die Wohnung liegt unweit des Olympia-Einkaufszentrums (OEZ), wo der 18jährige neun Menschen getötet und 16 weitere verletzt hat, bevor er sich selbst richtete. Nach Angaben der Polizei handelt es sich bei dem Täter um einen Deutsch-Iraner. Nachbarn beschreiben die Familie als ruhig und unauffällig. Nie sei ein Streit zu hören gewesen.

Keine Verbindung zur radikal-islamistischen Szene

Noch während die Polizei in München fieberhaft nach den Tätern sucht, verbreiten sich Gerüchte rasend schnell über soziale Medien. Sensibilisiert durch die Ereignisse in Brüssel, Nizza oder Würzburg vermutet man auch im OEZ einen radikal-islamistischen Terroranschlag. Der US-amerikanische Nachrichtensender CNN zitiert eine mutmaßliche Zeugin der Tat, deren Aussage ein radikal-islamistisches Motiv vermuten lassen. So sagte eine nach eigenen Angaben muslimische Frau, die zum Tatzeitpunkt im Schnellrestaurant gewesen sein will, sie habe gehört, dass der Täter »Allahu Akbar« (Gott ist groß) gerufen habe. Abgesehen von diesem einen Zitat gab es keine Hinweise, dass der Täter Verbindungen zu einer extremistischen Szene hatte.

Psychische Probleme

Noch während des Polizeieinsatzes tauchen verschiedene Handy-Filme in den sozialen Medien auf. Darunter ein Mitschnitt eines Gespräches zwischen dem Täter und einem Anwohner:

Anwohner auf Balkon: Du Arschloch, du Hundsgemeiner.

Täter: Wegen euch wurde ich gemobbt sieben Jahre lang, weil ich … (?) … musste.

Anwohner: Sie Wichser da. Sie Arschloch einer.

Täter: Und jetzt muss ich ’ne Waffe tragen / kaufen … (um euch abzuknallen?).

Anwohner: Eine Waffe? Weißt du was? Dir gehört der Schädel eingeschmissen. Du Arschloch einer. Ey!

Täter: (…) bin doch euer Gast, oder?

Anwohner: Das musst du sagen, du Wichser einer.

Täter: Wegen Scheiß-Türken.

Anwohner: Scheiß Kanacken einer. Ey der
hat eine Schusswaffe! Holt jemand her, der hat seine Waffe geladen. Holt
die Bullen einer! Hier läuft er umeinander, der Wichser einer.

Täter: Ich bin Deutscher. Hört auf zu flennen.

Anwohner: Du bist ein Wichser bist du.

Täter: Lasst mich zufrieden.

Anwohner: Ein Wichser. Was machst für einen Scheiß?

Täter: (Mein Vater ?) ist hier geboren worden. … (?) ihn gehasst. In der Hartz IV Gegend. Bin dort zur Schule gegangen.

Anwohner: Na und, was machst für’n Scheiß? Dir gehört der Schädel runtergeschlagen, du Arschloch da unten.

Täter: Wegen Leute wie Sie war ich ganz viel in Behandlung.

Anwohner: Behandlung? Du gehörst in die Psychiatrie, du Arschloch.

Täter: Ich hab nichts getan. … Wort gehalten… Halten Sie die Schnauze, Mann.

Dann fallen vier Schüsse. Die Leute, auf dem Balkon, von wo aus gefilmt wird, erschrecken. Dort sagt eine Stimme: »Das ist ja der Hammer.«

Das Gespräch selbst und auch die Körpersprache des Täters passen nicht zu einem politisch motivierten Terroristen, der an dieser Stelle vermutlich politische Forderungen stellen oder seine Ideologie verbreiten würde. Statt dessen erklärt sich der Täter selbst und heischt um Mitleid oder Verständnis.

Ein anderer mutmaßlicher Zeuge sagte zu CNN, der Täter habe geschrien, er sei Deutscher und werde Ausländer umbringen. Der »Spiegel-Online« berichtet, dass sich ein Mann meldete, der nach eigener Aussage zur Tatzeit in einem angrenzenden Geschäft einkaufen war und neben mehreren Schüssen auch die Schreie »Mir ist alles egal« und »Ich töte euch alle« gehört hat.

Zu keinem Zeitpunkt bestätigte sich der Verdacht, dass es sich tatsächlich um einen terroristisch vorbereiteten und motivierten Anschlag gehandelt habe, wenngleich dies von Rechtspopulisten noch während der Tat über Soziale Medien behauptet wurde.

Sonboly war vorbereitet

Trotz der fehlenden Verbindung zu radikalen Gruppierungen hat Sonboly seine Tat vorbereitet. Zunächst hat er sich eine Schusswaffe besorgt. Ferner fanden die Polizei bei der Durchsuchung seines Zimmers Hinweise darauf, dass er sich intensiv mit dem Thema »Amok« beschäftigt habe. Motiviert sei Sonboly unter Umständen von der Tat des Anders Breivik, dessen Foto er auf seinem Whatsapp-Account als Profilbild benutzte.

Unmittelbar vor der Tat habe er zudem versucht über einen falschen Facebook-Account Opfer zum Tatort zu locken. Der Account lautet auf den Namen »Selina Akim« und wurde am 11. Mai angemeldet. Der Post verspricht, dass man etwas ausgegeben bekäme und ist so formuliert, dass möglichst viele Leute mobilisiert werden sollten. Mittlerweile wurde dieser Account deaktiviert.

Nach den Schüssen im Einkaufszentrum ergriff der junge Mann die Flucht und wurde offensichtlich von einer Streife verfolgt. Seine Leiche wurde etwa einen Kilometer vom Einkaufszentrum gefunden. Am Fundort der Leiche stellte die Polizei dann auch die Tatwaffe sicher.

Gefahr der Hysterie

Amok-Taten hat es auch vor Brüssel und Nizza gegeben. Vor einigen Jahren stürmt ein bewaffneter Mann das Finanzamt in Fockbeck, Schleswig-Holstein, und erschießt eine Finanzbeamte aus Frust über eine Steuernachzahlung. Kein Medienrummel – keine Hubschrauber über Rendsburg und auch keine wilden Spekulationen von Rechtspopulisten. Ein Landwirt hat die Nerven verloren und eine unschuldige Frau fiel seinem Amoklauf zu Opfer. Nicht mehr – aber auch nicht weniger.
Geändert hat sich die Wahrnehmung in der Bevölkerung und auch das Medieninteresse. In diesem Kontext wird (präventiv) sofort das Schlimmste vermutet und es gelingt einem Täter binnen weniger Stunden eine komplette Stadt wie München lahm zu legen. Prävention ist sicherlich vernünftig, trägt allerdings auch dazu bei, dass sich das Sicherheitsgefühl innerhalb der Bevölkerung nachhaltig verändert. Man hat die Angst zu jeder Zeit und an jedem Ort Opfer eines terroristischen Anschlages oder eines Amoklaufes werden zu können. Das ist ein (langfristig) unmöglicher Zustand, der die Politik vor eine große Aufgabe stellt. Allerdings ist »Prävention« nie nur ein Thema für Politik, Behörden und Polizei, sondern das einer ganzen Gesellschaft – uns selbst eingeschlossen.

von
Michael Schwarz – 23.07.2016