Mehr als 13.000 Menschen wurden seit dem gescheiterten Putsch in der Türkei festgenommen, 6000 sitzen in U-Haft. Jetzt wurden 31 Akademiker verhaftet und gegen 42 Journalisten Haftbefehle erlassen.

Nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei sind Medienberichten zufolge 42 Haftbefehle gegen Journalisten erlassen worden. Wie die Fernsehsender „NTV“ und „CNN-Türk“ am Montag berichteten, ist unter anderem die bekannte Journalistin Nazli Ilicak betroffen, die 2013 wegen kritischer Berichterstattung über einen Korruptionsskandal von der regierungsnahen Zeitung „Sabah“ entlassen worden war. Ob es bereits Festnahmen gab, war zunächst unklar.

Wie die Zeitung „Hürriyet“ berichtete, wurden die Haftbefehle vom Büro des Istanbuler Anti-Terror-Staatsanwalts Irfan Fidan erlassen. Seinen Angaben zufolge hat bereits ein Polizeieinsatz begonnen, um die Journalisten festzunehmen. Ilicak wurde demnach aber nicht in ihrer Wohnung in Istanbul angetroffen. Möglicherweise sei sie an der türkischen Mittelmeerküste im Urlaub. Die dortige Polizei wurde den Angaben zufolge bereits alarmiert.

licak hatte unter anderem auch für die Zeitung „Bugün“ geschrieben, die den Gülen-Medien zugerechnet wurde. Die Regierung hatte „Bugün“ im vergangenen Jahr unter Zwangsverwaltung gestellt, auf AKP-Kurs gezwungen und später geschlossen.

31 Akademiker festgenommen

Die Nachrichtenagentur „DHA“ berichtete, die Ermittlungen richteten sich gegen Medien aus dem Netzwerk des Predigers Fethullah Gülen. Die Regierung macht Gülen für den Putschversuch verantwortlich. DHA meldete weiter, bei Razzien gegen Gülen-Anhänger in Istanbul seien 31 Akademiker festgenommen worden, darunter auch Professoren.

Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte am Donnerstag einen 90-tägigen Ausnahmezustand verhängt und angekündigt, den Staat von Gülen-Anhängern „säubern“ zu wollen.

Er verfügte zudem, dass Verdächtige bis zu 30 Tage in Polizeigewahrsam gehalten werden können, bislang mussten sie binnen vier Tagen einem Haftrichter vorgeführt werden. Bereits vor dem Putsch ist die Justiz gegen regierungskritische Journalisten vorgegangen, nicht selten auf direkte Anzeige des Präsidenten Erdogan.

Angeblich schon vor Putschversuch Umbau geplant

Nach Angaben des Staatspräsidenten wurde seit dem Putschversuch Haftbefehl gegen mehr als 1500 Richter oder Staatsanwälte erlassen. Mehr als 13.000 Menschen wurden festgenommen, darunter 8831 Armeeangehörige, 1329 Polizisten und 2100 Richter und Staatsanwälte.

Außerdem ließ Erdogan mehr als 2300 Einrichtungen schließen, die aus Sicht der Regierung zum Gülen-Netzwerk gehören, darunter mehr als 1000 private Schulen. 21.000 Lehrern an Privatschulen wurde die Lizenz entzogen. Mehr als 45.000 Staatsbedienstete wurden bislang suspendiert.

Allerdings dürfte derzeit ein eklatanter Mangel an Richtern und Staatsanwälten herrschen, von denen mehr als 1500 selber in Untersuchungshaft sitzen. Sie gehören zu den insgesamt fast 6000 Verdächtigen, gegen die im Zusammenhang mit dem Umsturzversuch Haftbefehl erlassen wurde. Die entstandene Lücke soll in der Justiz schnell geschlossen werden.

Justizminister Bekir Bozdag kündigte die Einstellung von 3000 neuen Richtern und Staatsanwälten an. „Es wird keine Unannehmlichkeiten für unsere Bürger geben. Dafür haben wir Maßnahmen getroffen“, sagte er nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur „Anadolu“ vom Sonntag dem Sender „Kanal 7“.

Erdogan dankt der Opposition

Wem Verbindungen zum Prediger Fethullah Gülen nachgewiesen werden, der hat per Dekret keine Chance auf Rückkehr in den öffentlichen Dienst. Schon vor dem Putschversuch sei geplant gewesen, im November Prüfungen für 1500 neue Richter und Staatsanwälte anzubieten, sagte Bozdag. Aufgrund der „jüngsten Entwicklungen“ sei die Zahl der geplanten Neueinstellungen verdoppelt worden.

Sogar seine eigene Präsidentengarde hält Erdogan offenbar für unterwandert, fast 300 ihrer Soldaten wurden festgenommen. Ministerpräsident Binali Yildirim kündigte die Auflösung der gesamten Eliteeinheit an.

Am Montagmittag wird Erdogan mit Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu zusammenkommen. Neben dem Chef der Mitte-Links-Partei CHP sollen an dem Treffen im Präsidentenpalast in Ankara auch Ministerpräsident und AKP-Chef Binali Yildirim sowie der Vorsitzende der ultrarechten MHP, Devlet Bahceli, teilnehmen. Erdogan wolle sich für die entschlossene Haltung der Opposition gegen den Putschversuch bedanken, meldete die staatliche Nachrichtenagentur „Anadolu“. Kilicdaroglu und Bahceli hätten die Einladung angenommen.

von

Günter Schwarz  – 25.07.2016