Für den IS war er genau der Richtige: Der Bomber von Ansbach hatte massive psychische Probleme und nichts mehr zu verlieren. Womöglich hat die Terrormiliz ihn schon vor Jahren in Bulgarien angeworben.

Das Urteil des Psychologen vom Februar 2015 lässt keinen Zweifel: Der Patient sei ein „extremer Geist und es ist ihm durchaus zuzutrauen, dass er selbst seinen Selbstmord noch spektakulär in Szene setzt“. Anderthalb Jahre später geschieht genau dies. Im bayerischen Ansbach sprengt sich der syrische Flüchtling Mohammed D. am Sonntagabend in die Luft. Er selbst stirbt, 15 Menschen werden verletzt. Einen Tag später verkündet „Amak“, das Sprachrohr des IS: Der Täter war ein „Soldat des Islamischen Staates“.

Doch wie und wann wurde aus dem syrischen Flüchtling ein Attentäter? Nach Ansicht von Ärzten, die den Mann betreuten, hegte er schon lange Suizid-Gedanken. Wie die „Bild-Zeitung“ berichtet, war er Anfang Januar 2015 elf Tage in stationärer psychiatrischer Behandlung im Bezirksklinikum Ansbach, weil er sich mehrere Schnitte am linken Unterarm zugefügt hatte.

Wenig später ließ die Organisation „Exilio – Hilfe für Migranten, Flüchtlinge und Folterüberlebende“ ein psychologisches Fachgutachten über den Flüchtling in Auftrag geben. Darin notiert der Therapeut, dass dieser so verändert sei, dass er keine Lust auf Freizeitaktivitäten jeglicher Art habe, einzig interessiere ihn nur noch sein Computer beziehungsweise das Internet.

Weiter heißt es in dem Gutachten, aus dem die „Bild-Zeitung“ zitiert, dass der Flüchtling erwähnte, „selbst auch Suizid bezogene Gedanken zu haben, und sogar schon Vorbereitungen für den Fall der Abschiebung nach Bulgarien getroffen zu haben“. Er habe das Gefühl, keinen Einfluss mehr über sein eigenes Leben zu haben. „Er hat nach dem Tod seiner Frau und seines sechs Monate alten Sohnes nichts mehr zu verlieren.“ Seine Begleiterin habe ihn schon „mit einer Flasche Benzin in der Tasche auf dem Weg in das Ausländeramt angetroffen und ihn noch aufhalten können“. Die Diagnose des Therapeuten: „Bei Abschiebung hochgradige, akute Suizidgefahr!“

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch ein Facharzt des Klinikums ins Ansbach: „In jedem Fall ist aktuell bei dem Patienten ein schwer depressives, mit anhaltender Suizidalität verbundenes Zustandsbild bis auf Weiteres gegeben, welches aus unserer Sicht dringend der fortgesetzten psychiatrischen Behandlung bedarf.“

Psychisch und physisch gefoltert

Dass der 27-jährige Flüchtling, der aus der zerbombten syrischen Stadt Aleppo vor dem Bürgerkrieg geflohen war, hochgradig traumatisiert war, bestätigt auch Gisela von Maltitz, die Geschäftsführerin des Therapiezentrums „Exilio“: „Er wurde persönlich gefoltert, wurde psychisch und physisch misshandelt, wurde Zeuge von Tötungen anderer, Ohrenzeuge von Folter anderer Gefangener“, sagte sie der „Süddeutschen Zeitung“.

Auch die anschließende Flucht über Bulgarien hinterließ wohl Spuren. In Bulgarien wurde Mohammad D. nach eigenen Angaben geschlagen, weil er seine Fingerabdrücke nicht abgeben wollte. Zudem habe die dortige Polizei ihn zwei Monate lang in einer Einzelzelle festgehalten. Eine medizinische Behandlung habe er nicht erhalten, obwohl er, wie Röntgenaufnahmen zeigen, schmerzende Metallsplitter in Armen und Beinen gehabt habe. Nach eigenen Angaben erfuhr er zudem in Bulgarien, dass auch seine Eltern in Syrien in Haft waren.

Dass es ihm allerdings gelang, das Balkanland zu verlassen, sieht die „Süddeutsche Zeitung“ als Hinweis darauf, dass der IS Mohammad D. möglicherweise gezielt nach Deutschland geschickt hat. Wie Mohammad D. schrieb, hatte ihm ein Syrer einen Flug nach Österreich spendiert, von wo er weiter nach Deutschland gelangte. „Ein recht mysteriöser Glücksfall“, so die SZ, schließlich habe kaum ein Syrer in Bulgarien genug Geld, um anderen einen Flug zu spendieren.

War er also schon damals vom IS angeworben worden – oder lediglich ein traumatisierter Flüchtling, der mit seinem Leben nicht klarkam und sich erst später von der Propaganda des IS angezogen fühlte? Laut einem Mitbewohner im Flüchtlingsheim, Alireza Khodadadi, erklärte er, der IS sei nicht der Islam, er sei nicht auf deren Seite und möge die Terroristen nicht.

Und doch ist Mohammad D. schließlich bereit, im Namen des IS zu töten. Sei es aus echter Überzeugung, sei es, weil es dem ohnehin von ihm herbeigesehnten Tod einen vermeintlichen Sinn verleiht. Als dann am 13. Juli das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge endgültig die Abschiebung nach Bulgarien ankündigt, die er bis dahin durch verschiedene Gutachten hatte außer Kraft setzen können, ist er zum Äußersten bereit. „Hiermit verkünde ich mein Vorhaben, eine Märtyreroperation in Ansbach, Bayern, durchzuführen“, erklärt er in seinem kurzen Bekennervideo. „Ihr werdet keine Leben genießen, solange ihr den IS bekämpft. Ich schwöre, ihr werdet keinen Schlaf in euren Häusern finden.“

Wenig später gelingt ihm das, was er angekündigt hatte: ein „spektakulärer Selbstmord“. Es ist der erste islamistische Selbstmordanschlag in Deutschland. In Mohammad D‘s Zimmer im Flüchtlingsheim finden sich später diverse Chemikalien, die mindestens noch für den Bau einer weiteren Bombe gereicht hätten.

von

Günter Schwarz – 27.07.2016