Die AfD macht im Nordosten alle verrückt
In drei Landesparlamente ist die AfD in diesem Jahr bereits eingezogen, zwei weitere sollen folgen. In Mecklenburg-Vorpommern und Berlin wächst bei den anderen Parteien die Nervosität. Es droht wieder kompliziert zu werden.
Der Countdown läuft. Auf ihrer Internetseite zählt die AfD Mecklenburg-Vorpommern die Tage, Stunden, Minuten und Sekunden bis zum geplanten Einzug in den Landtag. Die Vorfreude und Zuversicht ist groß. Bangen müssen die Rechtspopulisten nicht. Alles deutet daraufhin, dass sie im September in die Landesparlamente acht und neun einziehen wird.
In Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz enterte die Partei im März die Landtage. Im September, bei den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, will sie ihren Siegeszug fortsetzen. Die AfD ist drauf und dran, die politischen Konstellationen auch im Nordosten der Republik nachhaltig auf den Kopf zu stellen. Die Regierungsbildung dürfte nach den Wahlen nicht einfach werden.
In Mecklenburg-Vorpommern erreicht die AfD einer neuen Umfrage von „Infratest dimap“ zufolge fast 20 Prozent, in Berlin 13. Schlagen kann sich die AfD dabei nur noch selbst. Da sind die Querelen um die zerschlagene Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg, der die bundesweite Zustimmung der Partei zuletzt sinken ließ. Auch im Streit um Parteichefin Frauke Petry ist keine Lösung in Sicht.
Ebenfalls in Mecklenburg-Vorpommern gibt es vor der Wahl am 4. September Ärger. So will die rechtsextreme NPD keine Direktkandidaten aufstellen. Da habe die AfD „deutlich bessere Chancen“ und „einige recht ordentliche Leute“, erklärte Landesvize David Petereit. „So können wir der AfD zu mehr Direktmandaten verhelfen“, sagte Ex-NPD-Chef Udo Voigt. Eine offizielle Wahlempfehlung für die AfD hat die NPD bislang noch nicht verbreitet. Falls sie das noch tun sollte, wird es interessant sein, wie sich die zerstrittene Parteispitze um Petry und Landtags-Spitzenkandidat Leif-Erik Holm verhalten werden. In Sachsen-Anhalt hatte die NPD eine ähnliche Kampagne gefahren und stürzte auf 1,9 Prozent ab, die AfD schnitt mit 24,2 Prozent furios ab.
Bewährungschance für Rot-Rot-Grün
Bei den etablierten Parteien ist die Unruhe über das erwartet starke Abschneiden der AfD groß. Das ließ sich zuletzt am besten bei SPD-Ministerpräsident Erwin Sellering beobachten. Wohl wissend, dass seine Partei in Berlin mitregiert, kritisierte er die Asylpolitik von Kanzlerin Angela Merkel scharf und gab ihr eine Mitverantwortung am Erstarken der AfD. Dann beklagte er mangelnden Rückenwind aus Berlin. Die Debatte um einen SPD-Kanzlerkandidaten komme zur Unzeit.
Angesichts der Umfragen ist Sellerings Frust verständlich. Seit Jahresbeginn stürzte die SPD im Nordosten von 28 auf 22 Prozent ab. Vor fünf Jahren hatte Sellerings Partei die Wahl mit 35,6 Prozent gewonnen. Dass der Amtsinhaber deutlich beliebter ist als der CDU-Herausforderer und Innenminister Lorenz Caffier hilft dabei auch nicht. Sechs Wochen vor der Wahl sind die Sozialdemokraten in Not. Der Mangel an Helfern ist so groß, dass im Wahlkampf Unterstützer aus anderen Bundesländern benötigt werden.
Beim Koalitionspartner CDU sieht es mit zurzeit 25 Prozent aber auch nicht viel besser aus. Beide großen Parteien müssen zittern, ob es am Ende wieder für eine Große Koalition reicht. Von groß kann dann jedoch eigentlich nicht mehr die Rede sein. Möglicherweise geht es wie in Sachsen-Anhalt am Ende nicht ohne ein Bündnis aus drei Parteien. Dafür böten sich die Grünen an. Ebenfalls denkbar wäre theoretisch eine Koalition aus SPD, Grünen und Linken, die in Umfragen etwa gleichauf liegen mit einem Bündnis von CDU und SPD.
Pfuschvorwürfe gegen die AfD
Mindestens genauso vertrackt ist die Situation in Berlin vor der Wahl am 18. September. Auch in der Hauptstadt mischt die AfD den Wahlkampf zum Abgeordnetenhaus mächtig auf. Durch ihre Zugewinne hat sich in Umfragen eine Pattsituation ergeben. So liegen CDU, SPD, Grüne und Linke fast gleichauf bei um die 20 Prozent. Wie in Mecklenburg-Vorpommern sind es auch in Berlin vor allem die Sozialdemokraten, die an Zustimmung einbüßen. In den vergangenen Wochen sorgte vor allem die Räumung in der Rigaer Straße für Negativschlagzeilen. Seit März rutschte die SPD in Umfragen von 29 auf 21 Prozent ab. Die Zukunft der Großen Koalition ist unsicher, der regierende Bürgermeister Michael Müller muss um sein Amt zittern. Eine denkbare Option wäre auch in Berlin Rot-Rot-Grün.
Die AfD mit Vizepartei- und Landeschefin Beatrix von Storch darf auf ein zweistelliges Ergebnis hoffen. Doch ganz geräuschlos läuft der Wahlkampf der Rechtspopulisten auch in Berlin nicht. Berichten des RBB zufolge treten mindestens zwei Kandidaten an, die in rechtsextremistischen Zusammenhängen aktiv waren. Zudem gibt es parteiinterne Vorwürfe, dass bei der Vorstandswahl im Januar gepfuscht worden sein soll.
In einem Punkt ist die AfD jedoch bereits erfolgreich. Vor ein paar Wochen sagte der Berliner SPD-Chef, Spitzenkandidat und Bürgermeister Michael Müller, dass er die Partei aus dem Wahlkampf heraushalten wollte. Das ist jetzt bereits gescheitert. Dass die AfD ins Abgeordnetenhaus einzieht, ist wohl so gut wie sicher.
von
Günter Schwarz – 28.07.2016