Nach der tödlichen Messerattacke in London schickt die Polizei bewaffnete Beamte auf Streife – in Großbritannien eine Ausnahme. Was den 19-jährigen mutmaßlichen Täter antrieb, ist weiter unklar – nichts wird ausgeschlossen. Unweit des Tatorts gab es schon vor elf Jahren einen Anschlag.

Der begrünte Russell Square im zentralen Stadtteil Bloomsbury ist ein beliebter großer Platz, bei Londonern und Touristen gleichermaßen. Das University College London hat hier seinen Campus, das Britische Museum liegt um die Ecke, zahlreiche Hotels säumen die Straßen. Gestern Abend jedoch wurde der Russell Square zum Schauplatz eines Verbrechens. „Ich kam um kurz nach elf mit einem Freund aus dem Kino und traf auf schwer bewaffnete Polizisten, was hier ungewöhnlich ist. Und dann sahen wir auf dem Bürgersteig eine Leiche liegen, die da noch nicht abgedeckt war“, berichtet Augenzeuge Paul in der BBC.

Der Frau – zwischen 60 und 70 Jahre alt – konnten die Rettungsmediziner nicht mehr helfen. Sie erlag noch am Tatort ihren schweren Verletzungen. Passanten hatten zuvor die Polizei gerufen, nachdem ein Mann mit einem Messer auf mehrere Menschen losgegangen war, schilderte Mark Rowley von der Metropolitan Police.
Mutmaßlicher Täter im Krankenhaus

Bei dem Angriff wurden zwei Frauen und drei Männer verletzt. Wie schwer, dazu wollte sich Rowley nicht äußern. Ob es sich bei den Opfern um Londoner oder um Touristen handelt, ließ er ebenfalls offen. Den 19-jährigen mutmaßlichen Täter setzten die Polizisten mit einem Elektroschocker außer Gefecht, kurz nachdem sie am Tatort eintrafen. Der junge Mann befindet sich derzeit im Krankenhaus: „Es gibt erste Hinweise darauf, dass seine psychische Verfassung bei der Tat eine maßgebliche Rolle gespielt hat. Dieser Spur gehen wir jetzt nach“, sagte Rowley. „Zum jetzigen Zeitpunkt schließen wir kein Motiv aus und untersuchen deshalb auch, ob es einen terroristischen Hintergrund gibt.“

Über die Identität des Tatverdächtigen ist bislang nichts bekannt. Die Mordkommission von Scotland Yard hat die Ermittlungen übernommen, unterstützt von Anti-Terror-Spezialisten. Londons Bürgermeister Sadiq Khan rief die Öffentlichkeit auf, Ruhe zu bewahren und zugleich wachsam zu sein. Die Sicherheit der Hauptstädter sei seine oberste Priorität, so der Labour-Politiker. Polizeikommissar Rowley sagte, die Londoner würden heute Morgen merken, dass mehr Polizisten auf den Straßen unterwegs sind – auch mit Schusswaffen.

Wieder Bloomsbury – ein Zufall?

Auf derselben Straße im Stadtteil Bloomsbury, wenige hundert Meter entfernt, hatte sich am 7. Juli 2005 ein islamistischer Selbstmordattentäter in einem roten Doppeldeckerbus in die Luft gesprengt und 13 Menschen mit den in den Tod gerissen. Die Polizeipräsenz am Morgen erinnere ihn stark an die Zeit nach diesem Terroranschlag, sagt Anwohner Paul.

Britische Streifenpolizisten tragen überwiegend keine Schusswaffen. Erst gestern hatte die Metropolitan Police jedoch angekündigt, es würden inzwischen 600 zusätzliche bewaffnete Beamte auf Londons Straßen patrouillieren. Binnen zwei Jahren sollen es insgesamt 2800 sein. Dies ist auch eine Reaktion auf die jüngsten Anschläge in Deutschland, Frankreich und Belgien.

von

Günter Schwarz – 04.08.2016