„Gehört die Multikulturalisierung eines gewachsenen Volkes auch dazu?“ Dazu gibt es die Vorstellung vom braungebrannten Höcke aus dem letzten Dänemark-Urlaub im knappen dunkelblauen T-Shirt, mit Blick in die Ferne gerichtet vor einem beschaulichen Yachthafenpanorama.

Zum Kommunalwahlkampf-Auftakt lädt die Braunschweiger AfD ausgerechnet Björn Höcke vor das historische Braunschweiger Schloss ein, das jetzt ein Einkaufszentrum ist, das sich die Fassade des ehemaligen Schlosses lediglich erhalten hat.

Höcke – ein Wolf im Löwenpelz? Und was wird der aus Hessen zugewanderte thüringische Reißzahn der AfD dem unaufgeregten niedersächsischen „Löwenrudel“ zu sagen haben? Jetzt könnte man fragen, warum immer auf diesem Björn Höcke herumreiten? Verdient er denn als einer der zwei Landessprecher der AfD in Thüringen und Fraktionsvorsitzender im Thüringischen Landtag überhaupt so viel mediale Aufmerksamkeit?

Für Günther Jauch, als der noch Sonntagstalk machte, war Höcke jedenfalls relevant genug. Viele werden sich erinnern, als er die deutsche Fahne als Sessellehnenschoner einsetzte „gegen eine verrücktgewordene Altparteienpolitik“, wie er erklärte, während er später vor Parteigenossen forderte, dass „jede Fahnen- und Flaggenschändung“ in Deutschland mit „hohen Gefängnisstrafen“ zu ahnden sei.

Dieser Björn Höcke kommt also heute ausgerechnet nach Braunschweig. Wird sich die AfD damit einen Gefallen tun, solche polarisierenden Gesichter, die dem rechten Flügel der rechten Partei angehören, dazu zu nutzen, mit überregionalen Themen für das regionale Engagement der AfD in Braunschweig zu werben?

Legt Höcke eine Art Fahneneid ab?

Im Gefolge der Zuwanderungskrise hat sich die AfD in der öffentlichen Wahrnehmung von Bernd Luckes Anti-Euro-Partei zu so etwas wie einer Pro-Deutschland-Partei gewandelt. Lucke ist weg und Höcke, Meuthen, von Storch, Gauland und Petry streiten weiter um sein Erbe. Bis nichts mehr übrig ist?

Will Höcke in Braunschweig eine Art Fahneneid ablegen? Mut zu Braunschweig heißt hier allerdings zunächst einmal, darauf zu vertrauen, dass der Eintracht Braunschweig  irgendwann wieder in die Erste Liga aufsteigt oder bitte wenigstens nicht mehr aus der zweiten absteigt. Der Adler ist hier schon seit Generationen ein roter Löwe und wenn es doch mal politisch werden muss, dann hat man immer noch das rote Niedersachsenpferd im Stall. Das allerdings steht weit weg in Hannover. Dann, wenn das ordentlich geritten ist, dann schaut der Braunschweiger auch mal nach, was der Bundesadler dort oben so treibt.

Ein Beinbruch ist das nicht, sondern allenfalls Bestätigung einer gelebten Regionalität und einer auf Zufriedenheit aufgebaut heimatlichen Verwurzlung, die man mitträgt, aber unter der man nicht leiden muss, so wie wohl ein Björn Höcke beim Blick auf sein vergöttertes Deutschland.

Jetzt könnte man kritisieren, dass man dem Mann doch mal zuhören muss, anstatt immer nur seine angespitzten Passagen zu zitieren oder aus dem Zusammenhang herauszulösen, um ihn zu diskreditieren. Aber was, wenn diese Schärfe zum Grundton gehört? Den Eindruck macht es nämlich, umso länger man ihm live zuhört oder liest, was Björn Höcke beispielsweise via Facebook verbreitet.

So schreibt er am 10. Juli morgens um 6:15 Uhr, man ist ja schon fast beruhigt, das er es nicht um 5:45 Uhr (historisch 4:45) gepostet hat:

Ich kann heute an keinem Gefallenendenkmal mehr vorbeifahren, ohne von tiefer Wehmut ergriffen zu werden ob des unfassbaren Blutzolles, den Deutschland und Europa zweimal im letzten Jahrhundert dargebracht haben. Heute fehlen uns diese Millionen junge Männer und deren Kinder, die niemals gezeugt worden sind. Welches Ziel würde das Opfer der wenigen Söhne, die wir noch haben, rechtfertigen?

Herr Maas und seine HateSpeech-Guerilla

Klingt martialisch? Nein, ist es noch nicht einmal. Diese Sätze sind bei Björn Höcke Teil einer Familienpädagogik seiner beiden „Buben“, die, „gegen meinen Wunsch nichts Besseres (…) tun, als sich mit Pistolen einzudecken, Bandenkriege zu veranstalten und ihren Vater über die Weltkriege auszufragen.“ Da möchten sicher allenfalls der Herr Maas und seine HateSpeech-Guerilla mal Mäuschen spielen, wenn Höcke seinen Jungs die Weltkriege seiner Väter und Großväter als Gute-Nachtgeschichte erklärt.

Nun wird dieser Facebook-Account immerhin von aktuell über 26.000 „Gefällt-mir!“-Freunden Höckes mitgetragen. Und die werden es am besten wissen: Dieser Sound ist nicht die düstere Kirsche auf der Sahne, sondern, umso weiter man zurückscrollt, der Grundtenor der Höcke‘schen Alternative für Deutschland.

So zitiert er vor wenigen Tagen die „UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“ und fragt anschließend seine Facebook-Freunde „Gehört die Multikulturalisierung eines gewachsenen Volkes auch dazu?“ Dazu gibt es ein Bild vom braungebrannten Höcke aus dem letzten Dänemark-Urlaub im knappen dunkelblauen T-Shirt, mit Blick in die Ferne gerichtet vor einem beschaulichen Yachthafenpanorama. Diese so lieblich bebilderte Deutschland-Untergangsfantasie nach UN-Konvention gefällt 953 Leuten. Tatsächlich bittet Höcke hier höchst selbst darum, die UN einzuschalten, weil folgende Punkte für Deutschland zutreffend wären. Er zitiert:

a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe; b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe; c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen; d) Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind; e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe.

Ein Zivilisations- und Kulturbruch historischen Ausmaßes

Nein, diese Sorgen möchte man nicht teilen. Könnte hier schon das Grundproblem Höckes identifiziert sein? Stecken wir alle den Kopf in den Sand, während er sich alleine mit seinen Gefährten noch aufrecht mit geschwellter Brust und zurückgezogenen Schultern gegen den Feind stellt? Wird er nun die Braunschweiger vor dem Schloss ihres Herzogs, das in Wahrheit ja nur ein besseres Einkaufszentrum hinter der nachgebauten Fassade beherbergt, wird Höcke hier Mitstreiter für seine Sache gewinnen können?

Ich glaube nicht. Wenn er überhaupt zu Wort kommt. Denn in Braunschweig ist es ja nicht anders als anderswo, wo die AfD öffentlichen Raum auf Zeit beansprucht. Ein örtlicher AfDler berichtet, dass man selbst da, wo man nur vor dem Supermarkt seinen Schirm aufstellt und Flyer verteilt, versteckt in der Seitengasse bereits von einer Hundertschaft der Polizei gesichert wird. Und die muss immer wieder eingreifen und Protestierende selbst vor dem beschaulichen Edeka entfernen.

Die Gegendemo ist ebenfalls auf dem Schlossplatz genehmigt worden. Die Strategie der Polizei basiert in Braunschweig bereits auf Erfahrungen diverser Bragida-Auftritte: links vor dem Schloss die Linken, rechts die Rechten und dazwischen eine Pufferzone. Dafür muss man hier keine Kreidestriche ziehen: Dieses Niemandsland wird begrenzt von den überlebensgroßen Reiterstandbildern auf Sandsteinsockel von Herzog Carl Wilhelm Ferdinand und Herzog Friedrich Wilhelm. Beide fielen als Heerführer in den Napoleonischen Kriegen. Das müsste doch ein Festtag für Geschichtslehrer Höcke werden. So dicht dran an zwei deutschen Helden gefallen im Felde dürfte für diesen AfD-Politiker willkommener Quell der Inspiration sein.

Dumm nur, dass dieser Platz den meisten Braunschweigern vor allem noch deshalb in bester Erinnerung ist, weil hier vor drei Jahren zigtausende ihre Fußballhelden der Eintracht zum Wiederaufstieg in die erste Liga gefeiert hatten, indem sie kiloweise blau-gelbes Konfetti über die alten Bronzekämpfer und über ihre kongolesische Torfabrik Domi Kumbela regnen ließen.

Na, denn – Welcome in Braunschweig, wenn es sich schon nicht vermeiden lässt.

von

Günter Schwarz – 09.08.2016