Istanbul: Erdoğan zieht über Deutschland her
Bei seiner Rede vor Millionenpublik hat der türkische Präsident Deutschland vorgeworfen „Terroristen zu nähren“. Der türkische Präsident beschuldigte Deutschland, die PKK zu unterstützen, und während die Bundesrepublik Videoschalten der Terrororganisation genehmige, dürfte er nicht zu seinen Anhängern in Deutschland sprechen. Der Westen habe sich nicht solidarisch gezeigt.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat sich bei seiner „Demokratie- und Märtyrerversammlung“ mit Millionen Unterstützern in Istanbul demonstrativ vom Westen abgewandt. Er stellte erneut die Einführung der Todesstrafe in Aussicht, was auch den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen zur Folge hätte. Deutschland warf er einen Mangel an Demokratie vor, den westlichen Staaten fehlende Solidarität mit der Türkei: „Der Westen hat uns nicht gezeigt, dass er gegen den Putsch ist. Ihr Schweigen ist unentschuldbar.“ Die türkische Regierung geht davon aus, dass etwa fünf Millionen Menschen an der Kundgebung teilnahmen.
Erdoğan kritisierte, dass er sich bei der Kundgebung seiner Anhänger in Köln vor einer Woche nicht per Videoleinwand zuschalten durfte, obwohl sich die Kurdenpartei PKK bei einer früheren Veranstaltung zuschalten durfte. „Wo ist die Demokratie?“, zürnte er. „Sollen sie die Terroristen nur ernähren. Wie ein Bumerang wird es sie treffen.“
Den Schulterschluss sucht Erdoğan hingegen mit der nicht-kurdischen Opposition im eigenen Land und mit Russland – ein Treffen mit Wladimir Putin in Sankt Petersburg steht noch heute bevor. Vorwürfe, er strebe nach Alleinherrschaft, wies Erdoğan zurück. „Ich bin kein Despot oder Diktator“, sagte er dem Sender Al-Jazeera nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu.
Beim Treffen am heutigen Dienstag in Sankt Petersburg will Erdoğan den Streit mit seinem „Freund Wladimir“ beilegen, wie er der Nachrichtenagentur Tass sagte. Nachdem die Türkei Ende November einen russischen Bomber an der syrischen Grenze abgeschossen hatte, verhängte Russland massive Sanktionen. Ende Juni hatte Erdoğan in einem Brief sein Bedauern über den Zwischenfall ausgedrückt.
Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) sagte unterdessen im ARD-Sommerinterview, er rechnet nicht damit, dass die Türkei in den nächsten zehn oder 20 Jahren EU-Vollmitglied wird. Die EU sei derzeit nicht in der Verfassung „auch nur einen Kleinststaat zusätzlich aufzunehmen“. Während die österreichische Regierung jede Zusammenarbeit mit der Türkei ablehnt, machte Gabriel klar, für ihn sei die Türkei ein „schwieriger Nachbarn“, mit dem man aber „klarkommen“ müsse. Daher solle die EU weiter daran arbeiten, die Türkei auf europäische Standards zu bringen.
Unionsfraktionschef Volker Kauder und die kirchen- und religionspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Kerstin Griese, plädierten dafür, den Einfluss des von Erdoğan kontrollierten Moscheen-Dachverband Ditib einzuschränken. „Meines Erachtens sollte man es nicht zulassen, dass ein Verband wie Ditib, der offenbar Sprachrohr von Präsident Erdoğan ist, den islamischen Religionsunterricht in Schulen gestaltet“, sagte Kauder den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
von
Günter Schwarz – 09.08.2016