Die deutsche Gründlichkeit besonders im Beamten(un)wesen ist weltweit bekannt, und sie lässt auch keine Gelegenheit aus, sich diesen Ruf zu erhalten – im positiven wie auch im negativen Sinn. Und im Fall des Albaners Hysen Gjoka macht das deutsche Beamtentum seinem Ruf alle Ehre, denn wenn im deutschen Beamtendschungel einmal etwas verschwindet, das ist es verschwunden und bleibt es auch!  Der Albaner hat inzwischen alle Hoffnung aufgegeben. Seine Erwartungen in Deutschland haben sich nicht erfüllt und so entschied er, so schnell wie möglich wiederr in seine Heimat Albanien zurückzukehren. Aber die deutschen Behörden haben seinen Pass bei der Einreise eingezogen – und jetzt ist er weg – verloren! Und es ist kein Einzelfall, wie unsere Recherchen zeigen.

Hysen Gjoka sitzt an seinem kleinen Schreibtisch und plant seine Flucht. Doch irgendetwas läuft hier verkehrt. Denn er überlegt nicht, wie er am besten nach Deutschland kommt, sondern wie er ohne Pass zurück kann – in seine Heimat, nach Tirana in Albanien. Flucht anders herum. „Über Italien könnte es funktionieren, dann übersetzen nach Albanien“, meint er.

Es ist bizarr: Ein Albaner versucht, irgendwie Deutschland zu verlassen und das möglichst bald. Seit fast zwei Monaten wartet er auf seinen Pass, den er bei seiner Einreise bei der Bundespolizei abgeben musste. Das ist für jeden Asylsuchenden gesetzlich vorgeschrieben.

Vor zwei Monaten teilte er seinem Sachbearbeiter im Ausländeramt Düsseldorf mit, dass er gerne wieder nach Hause zurückmöchte. Seitdem wird er alle 14 Tage vorgeladen, nur um die Info zu bekommen, dass sein Pass immer noch nicht auffindbar sei. Jedes Mal bekommt er ein neues Dokument: „Aufenthalt für zwei weitere Wochen geduldet.“ Alle 14 Tage trifft er vor der Behörde viele Landsleute, die das gleiche Problem wie er haben. Auch sie wollen nach Hause, können aber nicht. „Inzwischen begegnen wir uns schon wie alte Freunde; der Frust ist bei uns allen sehr groß“, sagt Hysen.

Er war vor knapp 13 Monaten nach Deutschland gekommen, und er hatte große Hoffnungen sich hier. Ein besseres Leben aufbauen zu können. Hysen Gjoka hatte die Absicht, vielleicht eine Ausbildung machen zu können, um irgendetwas mit einer Perspektive zu erlernen. Viele junge Menschen in Albanien haben diesen Wunsch, doch in Deutschland zerplatzen solche Träume sehr schnell. Zunächst bemerkte Hysen, dass er sich schwer tut mit der deutschen Sprache. Eine Ausbildungsstelle zu finden war für ihn so gut wie unmöglich, und das Leben in einer Asylunterkunft in Deutschland wird nicht nur für ihn über einen längeren Zeitraum zur Qual. „Ich war mit bis zu zehn Leuten in einem Raum untergebracht; es gab viele Konflikte und Reibereien, und mir war irgendwann klar, dass ich wieder nach Hause möchte.“

Asylsuchenden wird bei der Einreise der Pass abgenommen

Hysen war im Juli 2015 über den Flughafen Köln/Bonn nach Deutschland eingereist. Die Bundespolizei nahm ihm den Pass ab und schickte ihn in die zentrale Aufnahmestelle nach Dortmund. Soweit war alles korrekt; doch dann ging der Pass in einem ziemlichen Durcheinander unter.

Die Behörden waren damals derrmaßen überlastet, dass sie nicht in der Lage waren, alle Pässe zu registrieren. „Wir hatten teilweise zig Kartons voll mit nicht registrierten Pässen bekommen, die wir erst einmal sortieren und ordnen mussten“, sagt Andrea Brinkmann vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). „Es ist überhaupt nicht in unserem Sinne, dass Ausreisewillige nicht ausreisen können, aber die Herausforderungen durch die sehr große Zahl der Neuankommenden waren und sind auch heute noch groß und bedurften großer Veränderungen im Bundesamt.“ Brinkmann berichtet aber auch von Fortschritten: „Ein Großteil der Pässe ist in einer zentralen Datenbank erfasst, der Austausch beispielsweise mit den Gerichten funktioniert digital. Die Herausforderungen, die sich uns stellen, sind momentan groß. Gerade vor einem Jahr, bei dem Massenansturm von Flüchtlingen, waren wir völlig überfordert. Wir sind derzeit immer noch damit beschäftigt, einen großen Rückstand abzubauen.“


Alle zwei Wochen muss sich Hysen Gjoka bestätigen lassen, dass seine Dokumente immer noch nicht gefunden werden konnten.
Einer der Pässe, die nicht registriert wurden, ist auch der von Hysen Gjoka. Der liegt mit großer Wahrscheinlichkeit noch in einem der zahlreichen Kartons – über ein Jahr lang! Noch immer ist er nicht in der bundesweiten Passdatenbank registriert. Stattdessen wird er auf „Behördenrundreise“ geschickt, denn eine Behörde weist ihn zur nächsten weiter. Die Stadt Dortmund schickt ihn zur BAMF nach Dortmund, das BAMF in Dortmund leitet ihn an das BAMF in Bielefeld weiter, und von dort setzt der Pass seine Reise zur Ausländerbehörde in Bielefeld fort. Die wundern sich nur, was sie mit dem Pass anfangen sollen, denn in Bielefeld ist Hysen Gjoka gar nicht gemeldet – sondern in Düsseldorf. „Offenbar gab es aber eine doppelte Anmeldung“, sagt eine Sprecherin der Stadt Bielefeld. Wieso und warum das so ist, kann uns keiner beantworten. Hysen Gjoka hat jedenfalls Bielefeld nie aus der Nähe gesehen.

Kritiker: „Die Behörden reden nicht miteinander“

Bernd Mesovic von ProAsyl kennt das Problem. Immer wieder melden sich bei ihm Ausreisewillige, die auf der Strecke bleiben. Hauptproblem seien die unterschiedlichen Zuständigkeiten, sagt Mesovic. Die Behörden redeten nicht miteinander. Ein Phänomen, das auch bei Suche nach Hysens Pass festzustellen ist. Die Sachbearbeiter suchen zwar in der eigenen Behörde, sobald der Pass aber weitergegeben wird, ist die Unterstützung zu Ende – damit endet die Zuständigkeit. Wir werden an die nächste Behörde verwiesen. Am Ende schreiben wir ein Dutzend Mails, führen fast doppelt so viele Telefonate. Ein Asylbewerber mit überschaubaren Deutschkenntnissen bekommt das wohl kaum hin.

Das kostet Nerven und den Steuerzahler viel Geld für Unterbringung und Sozialleistungen, so Mesovic. „Jedes Postpaket, das man heutzutage verschickt lässt sich minutengenau verfolgen, die Behörden bekommen es aber nicht hin, die Pässe zu lokalisieren.“ Das Problem betreffe alle Nationen; Albaner, Afghanen, Syrer. Und so wird das politische Ziel, Asylverfahren möglichst schnell zu einem Ende zu bringen, zur reinen Farce und zu Worthülsen von profilierungssüchtigen Politikern – eingeschlossen dem Bundesinnenminister De Maizière. Wie viele dieser Fälle es gibt, kann uns niemand zuverlässig sagen. Das BAMF spricht von vereinzelten Fällen, ProAsyl berichtet davon, dass dieses Problem im vergangenen Jahr sehr häufig aufgetreten sei.

Deutschland hat große Verbesserungen versprochen, sogar einen Namen dafür gefunden: „Datenaustauschverbesserungsgesetz“. So richtig scheint es noch nicht zu greifen. Andrea Brinkmann vom BAMF verspricht aber, dass es in Zukunft deutlich weniger dieser Fälle geben wird. „Asylsuchende die in den vergangenen Monaten eingereist sind, haben dieses Problem nicht mehr. Wir haben unser Personal verdreifacht, können die Pässe nun viel schneller registrieren.“

Hysen Gjoka kam also zu einer ungünstigen Zeit nach Deutschland. In doppelter Hinsicht. Aufgrund der hohen Anzahl an Flüchtlingen hatte er als Albaner kaum Erfolgsaussichten, dauerhaft in Deutschland bleiben zu können, aber auch die Rückkehr wird ihm dadurch jetzt erschwert.

Am gestrigen Freitag waren 14 Tage wieder um und ein neuer Termin in der Düsseldorfer Ausländerbehörde stand. Und diesmal hatte Hysen Gjoka Glück, denn es war Post aus Bielefeld gekommen. Hysen bekam endlich seinen Pass zurück. Nun muss er also nicht über Italien illegal in seine Heimat reisen. Es wäre auch kurios gewesen, denn würde ihn die Grenzpolizei eines Landes bei seiner Reise aufgreifen, wäre er in das sichere Herkunftsland zurück gebracht worden, und in diesem Fall wäre es wieder Deutschland.

von

Günter Schwarz – 13.08.2016