„Trump ist gefährlich sprunghaft“
Es ist ein Balanceakt für Psychologen und Psychiater, denn als Mediziner sollten sie sich mit Fachwissen nicht in Wahlkämpfe wie dem US-Wahlkampf einmischen und möglichst Zurückhaltung wahren. Aber manche können und wollen dennoch nicht mehr schweigen, wenn es um den Kandidaten Trump geht.
So mancher Amateur-Psychologe ist sich in der Beurteilung des US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump sehr sicher und sieht ihn als Narzisst und Soziopath, der ohne jegliche Selbstkontrolle und ohne jedes Mitgefühl agiert. Ausgebildete Psychologen halten sich jedoch zurück und es sind kaum Kommentare von ihnen zu hören. Der Grund besteht darin, dass der amerikanische Berufsverband hat seinen Mitgliedern verboten hat, öffentlich Diagnosen über Menschen anzustellen, die sie nie persönlich untersucht haben.
So häuft sich in den sozialen Medien und den Meinungsseiten der Zeitungen in den vergangenen Tagen die Küchenpsychologie zum Thema Trump. Zuletzt ging es darum, dass Trump am vergangenen Dienstag die US-Bürger indirekt zur Waffengewalt gegen seine demokratische Rivalin Hillary Clinton aufgerufen hatte.
Petition für psychiatrische Untersuchung
Nicht nur Trumps politische Gegner waren entsetzt über diese Äußerungen, denn selbst aus den eigenen, republikanischen Reihen hagelte es mit Kritik. US-Präsident Barack Obama bezeichnete den republikanischen Kandidaten als völlig für das Amt bezeichnet und eine demokratische Kongressabgeordnete startete gar eine Petition, mit der Trump gezwungen werden soll, sich einer psychiatrischen Untersuchung zu unterziehen.
Die Mitglieder des Verbands Amerikanische Psychiater unterliegen einer 43 Jahre alten Anordnung, der sogenannten „Goldwater Rule“, benannt nach dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten von 1964, Barry Goldwater. Wer gegen die Regel verstößt, kann von dem Berufsverband abgemahnt und bei Nichtbefolgung sogar ausgeschlossen werden.
„Unethisch und unverantwortlich“
In der aktuellen politischen Lage argumentieren jedoch manche Mitglieder, sie fühlten sich geradezu verpflichtet, öffentlich über ihre Sorgen angesichts des Kandidaten Trump zu sprechen. Andere wiederum betrachten solche Analysen über Trump als gefährlich und befürchten, dass daraus falsche Schlüsse gezogen werden könnten. Die Nachrichtenagentur AP sprach mit elf Psychiatern und Psychologen, die sich uneinig darüber waren, ob die geistige Gesundheit Trumps öffentlich diskutiert werden sollte oder besser nicht.
Die Analyse eines Patienten, ohne ihn getroffen zu haben und ohne seine Krankheitsgeschichte zu kennen, „wird wahrscheinlich falsch sein, wird der Person wahrscheinlich schaden und ihn wahrscheinlich davon abhalten, sich psychiatrische Hilfe zu suchen“, erklärt Paul S. Appelbaum von der Columbia University als Direktor der Fachschaft Recht, Ethik und Psychiatrie, der in der Vergangenheit schon Präsident des Verbandes war. Deshalb sollten Psychiater so etwas auf keinen Fall machen. In diesem Monat sah sich der Verband sogar dazu veranlasst eine Warnung auf seiner Webseite zu veröffentlichen, dass die Verbandsmitglieder keinesfalls die Kandidaten analysieren sollten. „Das wäre unethisch und unverantwortlich“, hieß es.
„Ich breche jetzt gerade die Goldwater-Regel“
Einige wenige Experten äußern sich dennoch öffentlich zu der Person Trump und bemühen sich peinlich, den schmalen Grat zwischen einer Diagnose und der simplen Beschreibung seiner öffentlichen Äußerungen nicht zu überschreiten. Einer unter ihnen ist Jerome Kroll von der Universität von Minnesota. Er ist Co-Autor eines akademischen Kommentars, in dem die Abschaffung der „Goldwater Rule“ gefordert wird. „Ich bin ein Bürger. Wenn ich etwas sage, dann ist das vielleicht dumm. Was ich sage, ist vielleicht peinlich für die Psychologie, aber es ist nicht unethisch“, sagt Kroll. Er denke, dass Trump der Beschreibung eines „Narzissten“ sehr nahe komme. „Ich glaube, das würde ihn disqualifizieren. Ich breche damit jetzt gerade die ,Goldwater-Regel‘.“
Das Wahlkampf-Team von Trump wollte diese Aussage nicht kommentieren. Der republikanische Kandidat und seine Anhänger haben dagegen Clinton mehrfach als gestört und unausgeglichen bezeichnet. Amateur-Psychologen beschäftigen sich seit Jahren mit der Frage, warum Hillary Clinton sich nach Affären ihres Mannes Bill nicht von ihm trennte, wobei diese besonders die Affäre mit der damaligen Praktikantin Bill Clintons, Monica Lewinsky, meinten. Dennoch sprach keiner der professionellen Psychologen in Interviews ihre geistige Gesundheit an.
Warnung aber keine Diagnose von 2000 Therapeuten
Katherine Nordal, bei der Amerikanischen Psychologischen Gesellschaft verantwortlich für den Bereich berufliche Praxis, betrachtet es ebenfalls als unangemessen, wenn Psychologen Diagnosen über Menschen anstellen, die sie nie persönlich gesehen und untersucht haben. „Mit Diagnosen um sich zu werfen, ist eine gefährliche Sache“, erklärt sie.
Eine Gruppe von Fachleuten warnte dennoch in einer Petition, die von mehr 2000 Therapeuten unterzeichnet wurde, vor den Gefahren von Trumps Ideologie. Sie stellten keine Diagnose, sondern konzentrierten sich auf die Aussagen und Auftritte des Kandidaten. Trump normalisiere mit seiner Rhetorik, was nicht normal sei, „die Tendenz, andere in unserem Leben für unsere persönlichen Ängste und Unsicherheiten verantwortlich zu machen“, hieß es.
Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, gekennzeichnet von einem übersteigerten Selbstwertgefühl, einem starken Bedürfnis nach Bewunderung und fehlendem Mitgefühl für andere, ist nach Ansicht von Experten eher ein Verhaltensmuster als eine psychische Krankheit, wie zum Beispiel die der Schizophrenie.
„Man muss kein Psychologe sein, um das zu sehen“
Einige Psychologen und Psychiater betrachten es als ihre Pflicht, die Öffentlichkeit vor einer nahenden Gefahr zu warnen. „Wir erkennen ein möglicherweise gefährliches Verhaltensmuster und wenn ein Mediziner davor warnen will, dann soll er das auch tun dürfen“, sagt Claire Pouncy, Präsidentin des Verbands zur Förderung von Philosophie und Psychologie und Co-Autorin Krolls in der Kritik an der Goldwater-Regel. „Ich denke, er ist gefährlich sprunghaft und unberechenbar, aber man muss kein Psychologe sein, um das zu sehen.“
Goldwater war ein ultrakonservativer Kandidat. Eine Zeitschrift schickte damals einen Fragebogen an Tausende Mitglieder des Verbands Amerikanischer Psychiater und fragte sie nach ihrer Meinung zu Goldwater. Mehr als 1000 antworteten und beschrieben den Kandidaten als paranoid und gefährlich. Goldwater verklagte damals die Zeitschrift und gewann vor Gericht.
1973 gab der Verband die Goldwater-Regel heraus. Mit Alan Stone stimmte ein einziges Mitglied im Vorstand gegen die Vorgabe. „Ich glaube an das Recht auf freie Meinungsäußerung“, erklärt er. „Wenn Psychologen sich lächerlich machen wollen, dann haben sie das Recht dazu.“ Stone traf Goldwater später. „Er war ein sehr ausgeglichener Mensch. Die Psychiater haben damals politisch gedacht. Wir waren gegen Goldwater.“
von
Günter Schwarz – 14.08.2016