Als Spin.de auszog, um Kunst zu zensieren.
Dass US-amerikanische Sozial-Media-Plattformen die Grenze der Prüderie weit überschreiten, ist hinlänglich bekannt. »Nippel« haben auf Facebook nichts zu suchen. Das ist inzwischen auch Kuratoren bekannt und Museen aus aller Welt halten sich an dieses Nacktverbot. Antike Statuen, wie die Venus von Milo, oder viele Werke der Maler Francisco de Goya, Frida Kahlo und unzähligen anderen renommierten Künstlern sucht man in Sozialen Netzwerken vergeblich. Der Grund: Nackte Brüste – oder gar noch mehr Verderbtheit.
Wer glaubt, deutsche Plattformen wären da liberaler, irrt.
Das Wohnzimmer der 25jährigen französisch-stämmigen Bühnendekorateurin ist übersäht mit Krimskrams. Bleistifte, Zettel, Kameraobjektive, Fotos, Skizzen, volle Aschenbecher und leere Kaffeetassen fügen sich bemerkenswert dekorativ in ein chaotisches Gesamtbild. Genau so stellt man sich die Wohnung einer Künstlerin vor. Die 25jährige skizziert und fotografiert überwiegend Menschen – natürlich seien auch Akte dabei. Klassischer Akt sei Bestandteil jeder Ausbildung an einer Kunsthochschule, verrät sie. Viele der herumliegenden Bilder zeigen sie selbst. Darunter seien Arbeiten befreundeter Illustratoren und Fotografen, wie auch Autoportraits. »Es kommt öfter vor, dass ich eine Idee habe und das dann direkt ausprobiere – Licht, Schatten oder einfache Stimmungen.«, sagt sie und zeigt einige ihrer Arbeiten. Bei allen Skizzen und Fotos handelt es sich um geschmackvolle Aktfotografie, wie man sie aus Kunsthallen kennt. Explizite Fotos oder Skizzen sucht man vergeblich. »Ich habe überhaupt kein Interesse an Pornografie.«, sagt sie. Pornografie reduziere sich auf Begierde, während Erotik den Betrachter in einen Rausch der Sinnlichkeit zu versetzen vermag.
Seit nunmehr elf Monaten hat die junge Künstlerin ein Profil bei der 1996 gegründeten Regensburger Chat & Community-Plattform Spin.de. Herkömmliche Netzwerke wie Facebook, Linkedin oder Instagram wären für sie nicht geeignet. »Man kann sich dort nicht frei präsentieren.«, kommentiert sie und verweist auf die strikte Zensur erotischer Kunst: »Bei einem deutschen Anbieter war ich mir sicher, dass ich meine erotische Kunst zeigen kann – von Pornografie rede ich da nicht.«
Scheinbar sehen die Moderatoren des deutschsprachigen Chat-Netzwerkes dies etwas anders. Im Juli löschte Spin ein Autoportrait der Künstlerin, welches ihren Torso zeigte. Auf dem Bild sei eine halbe Brustwarze und der Ansatz von Schambehaarung zu sehen gewesen. »Solche Bilder gibt es in jedem Museum!«, empört sie sich. Die Spin-Moderatoren begründeten die Löschung mit dem Hinweis:
Die Darstellung sexueller Handlungen – selbst wenn sie nicht direkt pornographisch sind – oder sichtbarer Geschlechtsteile, ist nicht erlaubt. Dies gilt sowohl für Comics wie für fotografische Darstellungen.
Mit ganz viel Fantasie oder einem Photoshop-Tonwert-Filter könne man ihre Geschlechtsteile unter Umständen sichtbar machen, gesteht sie. »Ich habe mich über diese Zensur sehr geärgert – und mich auch beschwert – aber das führt ja ohnehin zu Nichts.«, räumt sie ein.
Vor zwei Tagen lud sie erneut eine ihrer Arbeiten in das Netzwerk. Wir möchten das Bild an dieser Stelle nicht vorenthalten:
Foto (c) i.R. SH-UgeAvisen.dk
Erneut wurde das Bild nicht zugelassen. Wieder mit dem Hinweis, dass die Darstellung sexueller Handlungen oder Geschlechtsteile nicht zulässig sei. »Auf diesem Bild sind meine Beine und meine Taille zu sehen!«, klagt die Künstlerin. Sie gehe nun davon aus, dass man ihre Bilder pauschal nicht zulasse, oder aber dass die Moderatoren überhaupt kein Gespür dafür haben, was sie da tun.
»Ich unterstelle Menschen ungern eine böse Absicht. Die meisten Dinge lassen sich mit Dummheit erklären. Für mich bedeutet es allerdings in der Konsequenz, dass ich kein Interesse mehr daran habe, dieses Netzwerk für mich zu nutzen. Ich habe allergrößtes Verständnis dafür, wenn Betreiber auf Jugendschutz achten. Ich glaube sogar, dass die gewonnene Freiheit missbraucht werden würde, wenn ein Netzwerk wie Facebook „Nippel“ zuließe. Moderatoren sollten allerdings in der Lage sein, Pornografie von absolut jugendfreier Kunst zu unterscheiden. Und ganz insbesondere auf einer Plattform wie Spin!«
Mit -ganz besonders- zielt die junge Frau auf den insgesamt sexistischen Charakter der Chat-Community. Als Frau werde man dort umgehend von männlichen Nutzern belagert und man müsse sich von vorherein auf massive sexuelle Belästigung einstellen. Zwar böte Spin.de eine unkomplizierte Meldefunktion, sowie einen abgetrennten Bereich für Erwachsene; der Umgangston auf Spin ließe allerdings sehr zu Wünschen übrig.
»Es vergeht nicht ein einziger Tag, an dem man auf Spin nicht auf sehr einfache Charaktere trifft. „Hey, grad geil?“, oder „Dir würd‘ ich gern mal ne Ladung ins Gesicht rotzen.“, sind noch die harmlosesten der Anreden, mit denen man im Chat jederzeit rechnen muss. Dabei können solche Distanzlosigkeiten ebenso von einem Jugendlichen kommen, wie auch von einem Rentner. Der Chat bei Spin ist für mich die virtuelle Version einer Kölner Sylvester-Nacht am Bahnhof. Mit all diesen Dingen könnte ich leben – nur mit dieser verlogenen Doppelmoral nicht. Entweder ich betreibe ein Forum, in dem auch solche Idioten ihre Perversionen ins Land trompeten dürfen; oder aber ich gründe einen Chat für christliche Pfadfinder, in dem dann natürlich auch erotische Kunst untersagt ist. Auf der einen Seite erlauben die Betreiber, dass explizit pornografische Beschreibungen in den Profilen, ohne lange zu suchen, aufgeführt werden dürfen oder semi-pornografische Bilder, die allesamt gegen das Urheberrecht verstoßen, die in Gästebüchern gepostet werden – und auf der anderen Seite löscht man ein nacktes Bein mit der Pornografie-Keule. Das passt so nicht. Ich habe viele Bilder in meinem Gästebuch, die deutlich „mehr“ zeigen. Dabei ist keines der Bilder von dem Absender selbst fotografiert, sondern all diese Bilder sind aus dem Internet zusammengeklaut. Alle diese Bilder verstoßen gegen das Urheberrecht und wären damit zehnmal illegaler als mein nacktes Bein. Das ist eine Sauerei.«
Insgesamt wirkt Spin nicht wie eine Chat-Plattform, die man seinen Kindern ans Herz legen möchte. Trotz der Bemühungen durch Spin einen Jugendschutz zu gewährleisten, verwirren die Schilderungen der jungen Frau ebenso sehr, wie die Tatsache, dass auch in dem frei zugänglichen Bereich ein separater Chatraum mit der Bezeichnung „Altersunterschied – jüngere Frauen und ältere Männer“ eingetragen ist. Ein deutlich sexueller Charakter, inklusive leicht exotischer Neigungen, ließe sich da sehr leicht hineininterpretieren.
Weit mehr zumindest, als in das nackte Bein einer jungen Französin.
Es bleibt zu hoffen, dass solche Verfahren einem »unglücklichen Zufall« zuzuordnen sind. Es wäre fatal für junge Künstler, wenn man ihnen die Möglichkeit nähme, ihre Kunst in solchen Netzwerken zu zeigen, während offensichtliche Urheberrechtsverletzungen weiterhin frei publiziert werden dürfen. Klare Richtlinien, die sich nach gesetzlichen Vorgaben richten, würden völlig genügen. Vorausgesetzt natürlich die Moderatoren bei Spin können einen selbstgemalten/-fotografierten künstlerischen Akt von den selbstgeklauten Machenschaften der Internet-Billig-Porno-Industrie unterscheiden.
von
Michael Schwarz – 17.08.2016