Bei der Produktion des VW-Golf in Wolfsburg stehen die Bänder der Produktion des Golfs und des Passats still. Volkswagen hat  um die mehr als 28.000 Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt, weil Sitzbezüge und Getriebeteile nicht geliefert werden. VW versucht, die Firmen gerichtlich zu zwingen, die Lieferblockade aufzugeben und die Verträge zu erfüllen.

Und nun kam auch das noch hinzu. Der Volkswagenkonzern – schon durch den Abgasskandal bis in seine Grundfesten erschüttert – musste jetzt auch noch Kurzarbeit verordnen, weil offenbar zwei Zulieferer ihren Job nicht machen und weil wegen fehlender Sitzbezüge und Getriebeteile die Fahrzeuge nicht fertiggestellt werden können. Zehntausende Mitarbeiter wurden auf nicht absehbare Zeit früher nach Hause geschickt, oder sie können günstigstenfalls ihre Überstundenkonten leeren abbummeln. Worum es bei dem Streit mit dem Zulieferer und VW wirklich geht, liegt für die Öffentlichkeit allerdings weiterhin im Dunkeln. Keine der beiden Seiten mag offen über die wirklichen Streitpunkte reden – obwohl es sehr wahrscheinlich um Geld geht, viel Geld sicherlich!.

„Das ist armselig“

Da reibt man sich verwundert die Augen, denn hatte die Konzernführung in Wolfsburg nicht vor noch nicht einmal einem Jahr immer wieder öffentlich beteuert, geradezu unter Tränen geschworen, dass eine neue Informationspolitik bei ihr einkehren wird. Es sollte ab sofort offen und ehrlich über Probleme gesprochen und die Presse und Öffentlichkeit ´stets auf dem Laufenden gehalten werden. Es hatte den Anschein, aus der Abgasaffäre gelernt zu haben, und man hatte die Unternehmenskultur grundsätzlich geändert . Doch von all dem ist offenbar nichts übrig geblieben. Nichts von den großspurigen Ankündigungen wurde von den Abgasbetrügereien umgesetzt! Und noch jetzt bei der Liefer- und damit verbundenen Kurzarbeitsaffäre wird weiterhin nur das ansatzweise umgesetzt, was sowieso schon durch „undichte Stellen“ nach außen gedrungen ist. VW ist, war und bleibt weiter ein „Closed Shop“ – Und große Mühe, das auch nur ansatzweise zu ändern, gibt man sich offenkundig nicht. Somit sitzen bald Zehntausende Volkswagen-Mitarbeiter auf unbestimmte Zeit zu Hause – und wissen gar nicht warum. Das ist armselig!

David gegen Goliath

Was bisher unter der Hand bekannt geworden ist, was in Sachen Kurzarbeit vermutet wird, beunruhigt. Es hat den Anschein, als ob ein einzelner Zulieferer, der aus einem schwer zu überblickenden Firmengeflecht mit Töchtern in verschiedenen europäischen Ländern besteht, wegen eines Streits, wegen einer gescheiterten Zusammenarbeit, einen Konzern mit seinen mehr als 600.000 Beschäftigten in Geiselhaft nimmt. Er tut dies, um seine Interessen durchzusetzen – vielleicht auch – und diese Spekulation liegt nahe – um den Wolfsburgern etwas heimzuzahlen, weil man sich persönlich verletzt fühlt. Es ist ein Kampf zwischen David gegen Goliath. Dass dabei auch Tausende Arbeitsplätze in Gefahr geraten, ist den Kontrahenten dabei offenbar vollkommen egal.

Möglich wird diese Art der neoliberalen Kriegsführung durch die in der Industrie seit Jahrzehnten umgesetzten Formen der sogenannten Just-In-Time-Lieferung von Bauteilen. Teure Lagerhaltung in den Unternehmen gibt es nicht mehr, auf den Fließbändern wird nur das zusammengeschraubt, was kurz zuvor angeliefert wurde. Doch wer seine Lagerhallen quasi auf die Autobahnen verlegt, wird verletzlich – für eben solche Formen der Nötigung, wie wir sie jetzt drastisch vor Augen geführt bekommen. Zugleich heißt das aber auch: Wer seine Zulieferer durch nicht endenden Preisdruck immer massiver drangsaliert, erzeugt genau solche Verzweiflungstaten, wie wir sie jetzt erleben. Oder wie sieht VW das?

von

Günter Schwarz – 23.08.2016