Damals war’n es Vertriebene – heute sind‘s Flüchtlinge
Nach Kriegsende strömten Millionen Menschen aus Ostpreußen, Schlesien, Pommern und dem Sudetenland gen Westen. Dort waren sie jedoch höchst unwillkommen und stießen auf Vorurteile, die sich von denen gegen heutige Flüchtlinge in keiner Weise unterscheiden..
Beim vergleichenden Blick auf den Umgang mit Flüchtlingen kann man aus der Geschichte sehr viel lernen, man darf nur nicht den Fehler begehen, die Gegenwart zu betrachten und die in der Vergangenheit bis auf wenige Wochen und Monate zurückgehen, sondern man muss in Jahrzehnten denken. Nach dem Zweiten Weltkrieg etwa war der Begriff „Integration“ für Millionen geflüchtete Deutsche im alltäglichen Sprachgebrauch noch völlig unbekannt.
In der Folge des Ungarnaufstandes von 1956 verließen ca. 2% der ungarischen Gesamtbevölkerung bzw. 200.000 Menschen das Land und flohen vor den Russen gen Westen. Österreich, das damals mit ca. 70.000 Flüchtlingen rechnete nahm schließlich die große Mehrheit von 180.000 Flüchtlingen aus ihrer ehemaligen k.u.k. Doppelmonarchie auf, und der Rest von etwa 20.000 Flüchtlingen kam in die Bundesrepublik Deutschland.
Aber kommen wir zurück zur „Integration“ der „fremden Deutschen und Ungarn“. Heute ist der Schlüsselbegriff „Integration“ in der aktuellen Flüchtlingsdebatte ohne Frage ein Wort, das nach dem Zweiten Weltkrieg, als etwa 14 Millionen Vertriebene und Geflüchtete aus ehemaligen Reichs-Gebieten im Osten in die vier Besatzungszonen und sogar nach Dänemark strömten und auch noch 1956 bei der Augnahme von Ungarn-Flüchtlingen, völlig ungebräuchlich war. Erst Jahrzehnte später begann man in der Bundesrepublik in den 1980er und 90er Jahren, von der „letztlich erfolgreichen Integration“ zu sprechen und sie nachträglich zu einem positiven Gründungsmythos der Bundesrepublik Deutschland zu stilisieren.
Auch der damalige Bundespräsident Johannes Rau (achter Bundespräsident von 1999 bis 2004) leistete im Jahr 2000 Arbeit an diesem Mythos. Er fügte allerdings kritisch hinzu, dass die Integration „am Anfang alles andere als leicht war“ – was eine starke Untertreibung war. Tatsächlich standen bis zum Ende 1950er-Jahre und zum Beginn der 1960er Jahre hinein Ablehnung, Diffamierung und blanker Hass gegen „alles Fremde“ an der Tagesordnung der „einheimischen“ Bevölkerung, und es wurden sogar rassistischer Vorbehalte von Deutschen gegen Deutsche „sorgsam gepflegt“.
Rassistische Töne von Deutschen gegen Deutsche
Der Flensburger Landrat Johannes Tiedje schrieb 1946, Schleswig-Holsteiner und Niederdeutsche würden ein Leben führen, „das in keiner Weise sich von der Mulattenzucht ergreifen lassen will, die der Ostpreuße nun einmal im Völkergemisch getrieben hat.“ Jakob Fischbacher, Gründungsmitglied der ultrakonservativen Bayernpartei, hielt es für „Blutschande“, wenn ein heimischer Bauer eine „norddeutsche Blondine“ heiratet, und wollte „die Preußen gleich nach Sibirien“ deportieren. Ein Weinbauer des bis heute erfolgreichen Gutes Weil im Rheingau ging noch weiter und verkündete lauthals: „Ihr Flüchtlinge gehört alle nach Auschwitz in den Kasten!“
Vor einigen Jahren hat der Historiker Andreas Kossert nachgewiesen, diese Ressentiments gegen die „Fremden aus dem Ostren“ waren in der Nachkriegsgesellschaft tief verwurzelt, und im Alltag wurden die Vertriebenen beruflich und gesellschaftlich vielfach brutal ausgegrenzt und benachteiligt.
Nicht besser ging’s den Flüchtlingen in der DDR – zumal das SED-Regime aus ideologischen Gründen und mit Rücksicht auf die neuen sozialistischen Bruderstaaten das Wort „Vertriebene“ vermied und deren Existenz praktisch leugnete. Im offiziellen Sprachgebrauch hießen sie dort „Umsiedler“.
Eingliederung als Vorläufer-Begriff
Natürlich liegen die Unterschiede zwischen der damaligen und der heutigen Situation auf der Hand. Flüchtlinge aus Asien und Afrika konfrontieren die hiesige Gesellschaft unter ethnischen, sprachlichen, religiösen und kulturellen Gesichtspunkten mit neuen, unbekannten Herausforderungen. Gleichwohl lohnt sich ein Blick auf die Faktoren, die damals zur allmählichen „Eingliederung“ – so hieß der Vorläufer unserer Integration – beigetragen haben.
Da war das Lastenausgleichsgesetz von 1952, durch das mithilfe von Vermögensabgaben für Einheimische die Vertriebenen in einem gewissen Umfang für ihre materiellen Verluste entschädigt wurden. Der Lastenausgleich schürte allerdings Ressentiments, die den heutigen Klagen über die Bevorzugung der Flüchtlinge teils aufs Wort gleichen. Unstrittig ist, dass die Vertriebenen vom wirtschaftlichen Aufschwung in der jungen Republik genauso profitiert haben, wie sie ihn gleichzeitig – durch ihren oft betonten Fleiß und ihre teils gute Ausbildung – massiv beförderten.
Bildung als Grundlage für Teilhabe der Einwanderer
Heute steht die hochentwickelte Bundesrepublik wirtschaftlich vergleichsweise gut da. Ein weiteres „Wirtschaftswunder“, das alle weiter mitreißt und so bestehende Verwerfungen in der Bevölkerung kaschiert, erscheint ausgeschlossen. Sofern die Integration und Teilhabe der Migranten trotzdem das gesellschaftliche Ziel bleibt, kann die Parole wohl nur lauten: „Bildung, Bildung, Bildung!“ – Das ist die entscheidende Grundlage für alles weitere.
Damals haben sich die Vertriebenen in – politisch weit rechts stehenden – Heimatverbänden und Landsmannschaften wie den noch heute sehr bekannten „Sudetendeutschen“ organisiert, in denen sie nicht nur ihre kulturellen Traditionen pflegten, sondern auch die Träume von der Rückkehr in die alte Heimat verfolgten. Heute wissen wir noch nicht, wie Migrantengemeinschaften abgesehen von den Moscheen ihre kulturellen Traditionen zukünftig pflegen werden, aber sie erfahren eine beispiellose, staatlich wie zivilgesellschaftlich organisierte Betreuung, die in den Jahren nach dem Weltkrieg nicht zur Verfügung standen.
Über deren Qualität, Verhältnismäßigkeit und Nutzen lässt sich geteilter Meinung sein, aber grundsätzlich gilt, während die kulturellen und religiösen Gräben heute objektiv größer sind, sind die strukturellen Bedingungen für die Integration von „Fremden“ wesentlich besser als noch vor 50, 60 und 70 Jahren.
Kann man aus der Geschichte lernen? Ja, man kann! – Man darf nur nicht kurzfristig, sondern muss in Jahrzehnten denken!
von
Günter Schwarz – 28.08.2016