Polizeischule Schleswig-Holstein in Eutin: „Wegschauen und verdunkeln“
Der NDR Welle Nord und das NDR Schleswig-Holstein Mafgazin erheben erneut schwere Vorwürfe gegen Ausbilder der Polizeischule in Eutin sowie gegen den Innenminister Studt (SPD) und Mitarbeiter seines Ministeriums, die um die Virgänge in der Polizeischule wussten und dennoch schwiegen.
Sexistische und rassistische Kommentare von Polizeianwärtern, bekannt geworden über WhatsApp-Protokolle – die Polizeischule in Eutin ist in den vergangenen Monaten immer wieder in den Schlagzeilen gewesen. Jetzt steht ein weiterer Vorwurf im Raum über eine „Party“ im Januar 2015. Dabei sei es zu einem sexuellen Übergriff gekommen, berichtet Patrick Breyer, Fraktionsvorsitzender der Piratenpartei. Insider bestätigen NDR 1 Welle Nord und dem Schleswig-Holstein Magazin, dass der Ausbilder eine minderjährige Anwärterin heftig mit Zunge auf den Mund geküsst habe. Und das „nicht mit ihrem Einverständnis!“
„Es ist nicht nur so, dass diese Anwärterin minderjährig gewesen sein soll, sondern dass diese Aktion auch nicht mit ihrem Einverständnis gewesen sein soll“, sagt Breyer. Er beschäftigt sich seit der sogenannten WhatsApp-Affäre mit Vorfällen in der Polizeischule Eutin. Wie auch damals sei in dem aktuellen Fall versucht worden, ihn nicht öffentlich werden zu lassen.
Der Ausbilder wurde daraufhin nach Lübeck versetzt – und kam nach wenigen Monaten zurück.
NDR 1 Welle Nord und Schleswig-Holstein Magazin konnten interne Unterlagen einsehen, in denen der Vorfall an der Polizeischule dokumentiert ist. Demnach wurde gegen den Ausbilder ein Disziplinarverfahren eingeleitet, das im Dezember 2015 mit einem Verweis endete. Danach wurde der Mann in die Polizeidirektion Lübeck versetzt – und zugleich befördert. Wenige Monate später holte der Ausbildungsleiter ihn aber nach Eutin zurück, obwohl die Schülerin immer noch dort war. Die offizielle Begründung: Personalmangel an der Polizeischule.
„In Einzelfällen Distanzunterschreitungen“
Der ganze Vorgang war nach NDR Informationen dem Innenministerium bekannt. Die Piratenpartei hatte eine Kleine Anfrage im Landtag gestellt. In der Antwort schreibt das Innenministerium, es habe „in sehr wenigen Einzelfällen Distanzunterschreitungen zwischen Ausbildungspersonal und Auszubildenden gegeben.“ Das Innenministerium erklärte am Dienstag auf Anfrage, man könne aus rechtlichen Gründen und aufgrund laufender Ermittlungen keine Angaben zu den Vorfällen machen. Unklar bleibt damit auch, welche weiteren Fälle gemeint sein könnten.

Die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Piratenpartei im Kieler Landtag.
„Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“
Der Polizeiwissenschaftler Rafael Behr von der Akademie der Polizei in Hamburg kennt dieses Muster. Es sei der Versuch, etwas an den Symptomen zu verändern, ohne sich strukturell neu aufstellen zu müssen.“ Die Metapher dazu ist: ,Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass‘. Natürlich wird man versuchen irgendwas zu ändern, aber möglichst nichts was einen selbst in den Grundfesten erschüttert.“ Nach seiner Einschätzung gibt es innerhalb der Polizei nicht genügend Leute, die aktiv zur Aufklärung beitragen. Piraten-Fraktionschef Breyer kritisiert außerdem: „Diejenigen im Innenministerium, die genau über die Vorgänge Bescheid gewusst hätten, seien völlig unberührt geblieben.“
Polizei unterläuft eigenes Regelwerk
Der neue Fall, ein Übergriff auf eine Polizeischülerin bei einer Party, ist für den Polizeiforscher Behr besonders heikel. Dass es auf Betriebsfeiern zu zwischenmenschlichen Beziehungen kommt, sei zwar überall zu beobachten – in Organisationen wie der Polizei sei das aber nicht ganz einfach, weil diese so hoch moralisch seien. „Die Polizei unterläuft damit ihr eigenes Regelwerk“, so Behr. Problematisch sei zudem, wenn eine Annäherung zwischen Untergebenen und Vorgesetzten stattfinde. Ein Punkt, den auch Breyer kritisiert. Aus seiner Sicht müssen Ausbilder fachlich und charakterlich geeignet sein. „Deswegen ist es für mich absolut nicht nachvollziehbar, dass jemand nach so einem massiven Vorfall einfach wieder eingesetzt wird“, sagt der Piratenpolitiker.
Handeln im Angesicht des nahenden Wahlkampfs?
Breyer macht für die Vorgänge Innenminister Studt mit verantwortlich. „Wegschauen und verdunkeln, statt Verantwortung zu übernehmen und Konsequenzen ziehen“ – dieses Verhalten mache der Minister vor, sagt Breyer. Die politische Leitung ziehe sich heraus und schiebe die Sache auf die Fachabteilung, sobald es unbequem werde: „Aber nur, um dann in einzelnen Fällen doch wieder dazwischen zu funken und die Fäden in der Hand behalten zu wollen.“ Innenminister Studt wird sich wohl einigen unbequemen Fragen stellen müssen – spätestens Mitte September, wenn sich nach der Sommerpause der Innen- und Rechtsausschuss des Landtags trifft. Im Moment will sein Ministerium keine Fragen beantworten.
von
Günter Schwarz – 30.08.2016