
Incirlik-Abgeordnetenreise in greifbare Nähe
Ist die Regierung in Ankara besänftigt? Dürfen Bundestagsabgeordnete am 4. Oktober wie geplant zum Truppenbesuch nach Incirlik? Ein Erdoğan-Vertrauter äußerte sich „zuversichtlich“, dass der deutsch-türkische Streit nach der Armenien-Resolution des Bundestagres beigelegt werden könne.
Offiziell ist für Bundestagsabgeordnete ein Truppenbesuch im türkischen Incirlik weiterhin verboten. Doch nach den zurückhaltenden Worten von Regierungssprecher Steffen Seibert über die Armenien-Resolution des Bundestags scheint sich etwas zu bewegen.
Der deutsch-türkische AKP-Abgeordnete Mustafa Yeneroglu, der als Vertrauter des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gilt, rechnet jedenfalls damit, dass der deutsch-türkische Streit beigelegt wird. „Ich begrüße die Erklärung der Bundesregierung und bin zuversichtlich, dass die nach der Armenien-Resolution entstandenen Vorbehalte nunmehr beseitigt werden können“, sagte Yeneroglu.
Gegenüber der Funke-Mediengruppe hatte sich zuvor bereits der Sprecher der türkischen Botschaft in Berlin, Refik Sogukoglu, ähnlich geäußert. Er begrüße die Stellungnahme von Seibert, sagte er. Von einer offiziellen Beilegung des Streits sprach Sogukoglu jedoch nicht. Spannend wird deshalb, wie das Aufeinandertreffen von Kanzlerin Angela Merkel und Erdoğan beim G20-Gipfel in China ablaufen wird. Auch dort dürfte Incirlik ein Thema sein. „Sicherlich werde ich alles Notwendige mit dem türkischen Präsidenten besprechen“, sagte Merkel.
Bundestagsabgeordnete wollen im Oktober nach Incirlik
Nach den jüngsten Zeichen der Entspannung hatte der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold, für die Verteidigungspolitiker des Bundestags angekündigt: „Wir wollen am 4. Oktober in die Türkei fliegen.“ Die Bundesregierung habe die Wünsche der Türken nicht erfüllt, „aber wenn das jetzt die Brücke ist, über die man gehen kann, soll es mir recht sein.“
Der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin warf der Bundesregierung Realitätsverweigerung in ihrer Türkei-Politik vor. Die Türkei sei ein schwieriger Nachbar und in der Flüchtlingskrise wie im Syrienkonflikt mehr Teil des Problems als Teil der Lösung, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Da hilft kein Rumgeeiere.“
Kritik der Linkspartei an Reiseplänen
Noch bevor feststeht, ob die Reise überhaupt zustande kommt, erwägt die Linkspartei einen Boykott des Truppenbesuchs. Ihr Abgeordneter Alexander Neu kritisierte: „Mit ihrer Stellungnahme zur Armenien-Resolution des Bundestags habe sich die Regierung eine Aufhebung des von der Türkei verhängten Besuchsverbots erkauft.“
Ähnlich kritisch äußerte sich der Vorsitzende der Deutsch-Armenischen Gesellschaft, Raffi Kantian. „Ich hätte mir gewünscht, dass nach einer Reihe von guten Entwicklungen die Bundesregierung wenigstens stillhält und die Resolution nicht beschädigt durch eine öffentliche Äußerung“, sagte er der „Rheinischen Post“. Er fürchte nun, dass die Bundesländer weniger Anlass hätten, den Völkermord an den Armeniern im Schulunterricht besprechen zu lassen – dieses hatte der Bundestag angeregt.
Besuch der 200 Soldaten bisher verboten
Die Bundeswehr hat im Süden der Türkei mehr als 200 Soldaten sowie sechs „Tornado“- Aufklärungsjets und ein Tankflugzeug stationiert. Sie unterstützen den Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“. Seitdem der Bundestag im Juni das Vorgehen gegen die Armenier vor mehr als 100 Jahren als Völkermord verurteilt hat, verweigert die Türkei deutschen Abgeordneten den Besuch bei den Soldaten.
von
Günter Schwarz – 04.09.2016