Mückenalarm: Insel Sylt wird „gepiekst“
Seit einigen Tagen sind auf Sylt so viele Mücken unterwegs wie seit Jahren nicht mehr. Auf der gestochenen Insel werden die Anti-Mückensprays in Apotheken und Drogerien knapp.
Es summt leise, dann kitzelt es etwas und kurz darauf folgt ein quälender Juckreiz, der mehrere Stunden oder gar Tage anhält. Seit rund einer Woche schwirren auf der Insel ungewöhnlich viele Stechmücken umher. Und kaum einer bleibt von ihren Stichen verschont. In Ruhe abends ein Bier trinken und den Sonnenuntergang genießen ist fast unmöglich. Wer nicht Opfer der hungrigen Blutsauger werden will, kann das auf Sylt – zumindest an den meisten Orten – im Moment nur mit reichlich aufgetragenen Anti-Mückencremes und sorgsam gewählter Kleidung machen.
Sogar durch Jeansstoffe stechen die kleinen Insekten – die an manchen Inselorten in riesigen Schwärmen unterwegs sind. Selbst auf Radfahrern die, obwohl sie vom Fahrtwind umweht werden, lassen sie sich nieder und durchstechen mit Hilfe ihres stechend-saugenden Rüssels die Haut ihrer ahnungslosen Wirte und laben sich an deren Blut. Allein die weiblichen Stechmücken saugen Blut, denn sie brauchen diese eisenhaltige Mahlzeit nach der Befruchtung, um Eier bilden zu können. Ihre juckenden Stiche werden, verständlicherweise, von vielen Menschen als Plage empfunden.
„Es sind auf jeden Fall viel mehr Mücken als sonst unterwegs“, sagt Margit Ludwig, von der Naturschutzgemeinschaft Sylt. So viele Mücken dieser Art habe sie zuletzt im Sommer 2002 erlebt. Ein feuchter Frühling und Sommer könnte dazu geführt haben, dass die Mücken mehr Eier gelegt haben und dadurch mehr Larven geschlüpft seien. „Der Mai war auf der Insel sehr sommerlich, der Juli dann sehr nass“, sagt die Expertin. Die Zweiflügler brauchen (stehende) Gewässer beziehungsweise deren Nähe, um ihre Eier abzulegen. Teilweise reichen bereits kleinste Wassermengen wie in Baumhöhlen, Felsmulden oder Pfützen. Regnet es viel, bilden sich entsprechend zahlreiche Wasserstellen und bestehende Stellen werden vergrößert. Somit erweitern sich auch die möglichen Fortpflanzungsoberflächen für die Mücken.
Forscher bitten nun darum, möglichst viele der Stechinsekten geschickt zu bekommen. „Wir sind dankbar über jede Mücke“, sagte die Biologin Doreen Walther vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) im brandenburgischen Müncheberg. Die Tiere werden für den Mückenatlas verwendet, mit dem Verbreitungsgebiete und neue eingeschleppte Arten kartiert werden.
„Durch die in Europa in den letzten Jahren zunehmenden Ausbrüche von Stechmücken-übertragenen Krankheiten wie Dengue-, Westnil- oder Chikungunya-Fieber sowie den jüngsten Zika-Virus-Ausbruch in Südamerika wurde die aktuelle Bedeutung von Stechmücken als Krankheitsüberträger unter Beweis gestellt“, erklärte Walther. „Zur Risikoabschätzung benötigen wir dringend Daten zur Verbreitung der in Deutschland vorkommenden invasiven und einheimischen Arten.“
Seit Tagen strömen Sylter und Urlauber mit ihren zerstochenen Körpern in die Nordseeklinik in Westerland. „Ich bin hier seit über 20 Jahren als Hautarzt tätig– so viele Patienten mit Stichen, hatten wir noch nie“, sagt Oberarzt Dr. med. Werner Kurrat, Dermatologe an der Hautklinik. Die Menschen kämen mit ausgeprägten – teilweise „handflächengroßen“ – Schwellungen, Blasenbildungen und Hauteinblutungen. In diesem Jahr gäbe es besonders viele Stiche mit intensiver „lokaler allergischer Reaktion“. Menschen würden unterschiedlich reagieren, einige bekämen nur Quaddeln, andere hingegen zeigten eine stärkere örtliche Reaktion des Immunsystems. Um von den Stichen verschont zu bleiben, sollten alle Körperteile bedeckt sein, ein Insektenschutzspray aufgetragen sowie die Fenster mit Mückengittern geschützt werden.
Auch die Tiere sind vor den Plagegeistern nicht gefeit. „Bei den Pferden ist es schlimm mit den Mücken, aber auch bei Hunden, die meist um die Nase herum gestochen werden“, sagt die Sylter Tierärztin Stephanie Petersen. Seit rund einer Woche kämen zahlreiche Tierbesitzer mit ihren von Mücken geschundenen Tieren zu ihr in die Praxis. Vorbeugend helfe es, die Tiere schon morgens mit einer Essig und Wassermischung einzusprühen.
Für die Sylter Gastronomen gibt es angenehmere Besucher, als die kleinen Insekten: „Das ist fürchterlich mit den Mücken“, sagt ein Mitarbeitet des Strandrestaurants Kap-Horn in Hörnum. Rund 80 Sitzplätze mit Blick auf das Meer gibt es hier. „Abends fliehen die Leute förmlich von diesem Ort“, sagt der Angestellte. Innerhalb kürzester Zeit seien am Mittwoch alle mit Stichen übersät gewesen. Überbewerten dürfe man das allerdings nicht, denn „es ist schließlich Sommer – da gehören auch die Mücken dazu“. Auch Sepp Reisenberger sieht den Vormarsch der vielen Flügeltiere gelassen: „Wir haben vorsorglich zwei homöopathische Sprays, mit denen sich die Gäste einsprühen können“, sagt der Chef des Bistro S-Point. Der Laden des Österreichers liegt direkt vor den Dünen in Westerland und ist abends von einer überdachten Glaswand umgeben. Neben Zitronenöl und Lavendel, enthalte die Tinktur auch Nelken und Petersiliensamen. „Das hilft – und wenn es nur psychologisch hilft“, sagt Reisenberger und lacht.
von
Günter Schwarz – 04.09.2016