Selbstverwirklichung statt Karriere, Freiheit statt Geld. Die 20- bis 30-Jährigen leben lieber im Augenblick, als sich um die Zukunft zu kümmern. Und was passiert im Alter? Ein Soziologe ahnt es.

Ich gehöre zur Generation „Y“. – Was heißt das eigentlich?

Dieser Ausdruck kommt aus der Generationenforschung. Die Idee ist, dass Menschen, die über etwa 15 Jahre hinweg geboren werden, gleichartige Erfahrungen machen, weil die politischen, wirtschaftlichen und technischen Verhältnisse ähnlich sind. Das „Y“ in Ihrer Generation steht für das englische „why“, also „warum“. Dahinter steht die fragende, suchende und sondierende junge Generation, die etwa zwischen 1985 und 2000 geboren wurde.

Und was charakterisiert uns?

Die Generation Y ist mit der digitalen Revolution groß geworden. Plötzlich ist alles jedem zugänglich, man muss sich mit all diesen Dingen auseinandersetzen, kann zwischen fiktiv und real oft nicht mehr unterscheiden, die Welt öffnet sich auf eine ganze neue Art. Gleichzeitig hat die Generation Y in ihrer Jugendzeit schon eine Wirtschaftskrise erlebt, politische Krisen wie die Terroranschläge vom 11. September oder Umweltkrisen wie Fukushima. Die Welt ist unsicher geworden und Sie fragen sich: Wer bin ich, wo gehöre ich hin, und welchen Sinn macht das alles für mich?

Uns stehen aber auch mehr Türen offen als allen Generationen vor uns.

Das sind die Markenzeichen der Ypsiloner: absolute Offenheit, Flexibilität und ein grundsätzlicher Optimismus. Obwohl die Situation kritisch ist, haben Sie das Gefühl: Irgendwie kriege ich das schon alles hin, aber ich darf mich nicht festlegen, nirgendwo zu früh Entscheidungen treffen, sodass ich mir immer das Optimale heraussuchen kann. Das führt dazu, dass sich die jungen Menschen nur ungern fest binden, politisch nicht und oft auch privat nicht.

Heißt das, uns droht im Alter die Vereinsamung?

Nein. In Wirklichkeit werden heute Liebesbeziehungen genauso intensiv wie eh und je gelebt, nur werden sie begleitet von dem Gedanken: Das ist wahrscheinlich keine lebenslange Beziehung und wenn sie auseinandergeht, dann ist das eben so. Da kommt ein neuer Realismus durch Ihre Generation, der aber sehr hilfreich ist und die alten, verklemmten Vorstellungen des Zusammenlebens löst. Die Kritik, dass diese Einstellung zu einer Verlotterung sozialer Beziehungen führt, halte ich für völlig überspannt.

Aber werden wir das im Alter bereuen und feststellen – wir haben uns zu lange alles offengehalten?

Wir werden das erst sehen, wenn Ihre Generation das nächste Lebensjahrzehnt erreicht. Wesentliche Meilensteine verschieben sich jetzt schon enorm nach hinten, der Eintritt in den Beruf und die Familiengründung. Und so werden eben auch Entscheidungen gestreckt. Keiner kann sagen, ob sie dann doch getroffen werden. Also: Kehrt man zu traditionellen Mustern zurück oder bleibt man bei dieser Offenheit?

Also kann man gar nicht sagen, wie wir in 40 Jahren leben werden?

Nein, in diesen unsicheren Zeiten nicht. Es bewährt sich also schon, kein festgelegtes Lebenskonzept zu haben. Der alte Lebensrhythmus, aufgeteilt in Schule und Ausbildung, Arbeit und Familie und dann der Ruhestand, wird sicher nicht bleiben. Ihre Generation wird die erste sein, die sagt: Ich möchte gleichzeitig leben, arbeiten, lieben und genießen. Und das zu jeder Lebenszeit.

Wie sieht das denn dann konkret aus?

Zum Beispiel könnte es gut sein, dass es eine Art Wohngemeinschaft unter Senioren, aber auch generationenübergreifend gibt. In der aber jeder sein eigenes Zimmer hat, gemeinschaftliche Regeln immer wieder neu ausgehandelt werden. Also eine freie, lebendige Gemeinschaft, die aber aus autonomen, souveränen und freien Individuen besteht. Also, wenn man mal träumt und Ideale formuliert, dann könnte Ihre Generation im Idealfall genau so leben.

Irgendwann möchten ich und meine Freunde auch ein Haus, einen Garten, eine Familie und einen Hund.

Das sind die Visionen eines Großteils Ihrer Generation. Am Horizont steht eben doch das sichere Leben. Wir wissen aus der Forschung, dass diese Bemühung, ein Rebell zu sein, irgendwann in einen Mainstream geleitet wird und ihre Kanten verliert. Die konservativen bewährten Muster setzen sich im gesellschaftlichen Leben am Ende immer durch. Aber die Generation Y wird keine Muster übernehmen, die persönliche Freiheiten beschränken und Bedürfnisse beschneiden. Diese Grundzuversicht wird bleiben, dass sich alles irgendwie ergeben wird – und man zugreift, wenn eine Gelegenheit kommt.

Aber ist das denn erstrebenswert?

Ihre Generation könnte damit hervorragend durchs Leben kommen, weil es immer wieder Möglichkeiten und Chancen gibt. Es sei denn, es gibt eine Krise. Nur – welche andere Generation ist schon je durch Krisenzeiten gut durchgekommen? Ich würde fast sagen, wenn es zu einer großen Krise kommen sollte, beispielsweise Europa zusammenbricht – dann wird Ihre Generation, die gelernten flexiblen Sondierer und Taktierer, sich blitzschnell umstellen.

Weil wir uns oft nicht festlegen, schlittern wir manchmal auf einen Weg – anstatt ihn bewusst auszuwählen. Kann ich so überhaupt irgendwann meine Ziele erreichen?

Dieses scheinbare Hineingleiten in bestimmte Lebensabschnitte und Phasen entspricht am Ende immer irgendwie doch den persönlichen Bedürfnissen, das haben wir herausgefunden. Die Generation Y geht im Unterschied zu den vorherigen Generationen sehr viel stärker von eigenen Bedürfnissen und Interessen aus, ist egobezogen. So sind diese Entscheidungen selten ganz willkürlich. Jedenfalls wenn wir von dem Teil Ihrer Generation sprechen, der eine gute Ausbildung genossen und ein solides Elternhaus hat. Es kommt also am Ende oft doch so, wie es kommen soll.

Wir treffen also richtige Entscheidungen, auch wenn es uns nicht bewusst ist?

Das kann man so sagen. Und wenn Sie dann auf einen Weg geschlittert sind, beispielsweise in einen Beruf, dann setzen sie eigene Akzente, fangen an, Vorstellungen umzusetzen, flache Hierarchien durchzusetzen, ihre Wünsche einzubringen. Sie werden zu selbstbewussten, manchmal aber auch selbstherrlichen Novizen am Arbeitsplatz. Und damit werden Sie die Arbeitswelt noch ordentlich umkrempeln.

Wichtig ist mir neben der Arbeit aber vor allem, dass ich noch Zeit für mich habe. Um zu reisen beispielsweise.

Wenn es darum geht, was Ihrer Generation beruflich wichtig ist, stehen in allen Studien immaterielle Werte ganz oben. Persönliche Erfüllung, Einfluss haben, authentische Dinge tun, sich nicht verbiegen lassen.

Dafür sind wir bereit, auf Gehalt zu verzichten.

Das liegt aber auch daran, dass viele von Ihnen es sich leisten können, manchmal nicht aufs Geld zu achten. Die Generation Y hat ein sehr enges Verhältnis zu den eigenen Eltern, sie sind eine Basisabsicherung. Mit Blick auf die Absicherung im Rentenalter, kann sich das aber rächen. Hier verhalten Sie sich geradezu fahrlässig. Mit dem Versorgungsnetzwerk MetallRente haben wir eine Studie durchgeführt und festgestellt – nur etwa ein Drittel kümmert sich um eine Absicherung jenseits der gesetzlichen Rentenversicherung, die absolut nicht mehr für Sie ausreichen wird.

Sie haben mich erwischt. Das mit der Rente ist aber auch furchtbar kompliziert …

Fairerweise muss man sagen: Unter den heutigen Umständen mit der Erfahrung der Weltwirtschaftskrise 2008 im Rücken, ergibt es objektiv auch wirklich keinen Sinn, eine Geldplanung zu machen, die in 40 oder 50 Jahren greifen soll. Es ist einfach nicht möglich.

Eine Zwickmühle also. Ist das etwa unser Schicksal?

Das ist vor allem eine politisch relevante Frage. Die Politik muss die Weichen so stellen, dass die Altersabsicherung auch für Ihre Generation gilt. Zum Beispiel, indem sie die gesetzliche Rentenversicherung stärkt, Beamte oder Selbstständige mit einbezieht. Es muss wenigstens eine Grundsicherung geben. Dazu müssen verbindliche Strukturen in der betrieblichen Altersvorsorge kommen. Jeder Betrieb wäre dann dazu gezwungen, mit Ihnen einen Vertrag zu machen, heute ist das freiwillig.

Wir sind also nicht einfach nur zu faul.

Nein, Sie reagieren intuitiv auf eine strukturelle Vorgabe, die nicht in Ordnung ist. Ich kritisiere aber, dass Sie das nicht thematisieren, dass Sie nicht öffentlich dagegen rebellieren. Das finde ich nicht nachvollziehbar.

von

Günter Schwarz – 05.09.2016