Auf dem Weg zu einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des Massenmordes von Katyn zerschellte im April 2010 die Regierungsmaschine Polens beim Landeanflug bei schlechten Witterungsbedingungen auf den Flughafen Smolensk . An Bord der Maschine befanden sich der damalige Staatspräsident, Lech Kaczyński, und seine Ehefrau Maria Kaczyńska, zahlreiche Abgeordnete des Parlaments, Regierungsmitglieder, hochrangige Offiziere, Kirchenvertreter, leitende Vertreter von Zentralbehörden sowie Vertreter von Verbänden der Opferangehörigen des Massakers von Katyn. Alle 96 Insassen kamen ums Leben, was eine nationale Katastrophe für die Polen war.

Jetzt will der politisch motivierte Spielfilm „Smolensk“ beweisen, dass es sich bei dem Flugzeugabsturz um ein gezieltes Attentat handelte. Der Regisseur lässt wissen, dass es zwar ein Spielfilm sei, aber auch eine Rekonstruktion der tatsächlichen Ereignisse, soweit sie nach dem Absturz der Maschine ermittelt werden konnten.

Ist es somit eine überfällige Aufklärung über die Ereignisse vom 10. April 2010 oder ist es eine nationalistische Propaganda nach dem Willen von Jarosław Kaczynski, dem Zwillingsbruder des damaligen polnischen Staatspräsidenten, und der derzeit regierenden national orientierten PiS Partei, die das Flugzeugunglück zum Gründungsmythos des „neuen“ Polen verstanden wollen wissen.

Für Jarosław Kaczynski ist sein Zwillingsbruder Lech ein Held, der beim Flugzeugabsturz von Smolensk für sein Land gefallen ist. Die Feierlichkeiten zum 6. Jahrestag am 10. April hatten schon tagsüber begonnen und waren opulenter als in den Vorjahren. Die neue Regierung wollte es so, denn schließlich hat die PiS die absolute Mehrheit und ihr Chef ist Jaroslaw Kaczynski.

Die Trümmer der abgestürzten Maschine rauchten noch, da gab es schon die ersten Verschwörungstheorien. Danach war es ein Attentat, hinter dem vermutlich von Russland stand. Und dass Wladimir Putin zum Unglücksort geeilt kam, um den damaligen polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk zu umarmen, nährte die Verschwörungstheorie eines Anschlages nur noch weiter, denn die Verschwörungstheoretiker sahen in beiden nur zwei Heuchler

„Wir wissen eigentlich nichts“, sagt der Regisseur Antoni Krauze. „Nur, dass ein Flugzeug abgestürzt und die Elite unserer Nation umgekommen ist. Wie kam es aber dazu? Keiner glaubt doch der offiziellen Version, der wir alle folgen sollen.“ Krauze, ein renommierter polnischer Regisseur, hat den Spielfilm gemacht,der schon jetzt hoch umstritten ist, denn er stützt die Attentatsthese. Bisher wurde von dem Film nur ein kurzer Trailer freigegeben, in dem es raunend geheimnisvoll heißt: „Hat jemand den Mut, die Lügen zu besiegen?“

„Der Film beschäftigt sich vor allem mit der Manipulation von Fakten“, so Krauze. „Vielleicht bringt er uns der Wahrheit zumindest näher. Die Wahrheit brauchen schließlich alle: die Angehörigen der Opfer, aber auch alle Polen. Für mich als Pole war es sehr schlimm, dass damals so viel gelogen wurde.“

Auf der Suche nach Wahrheit

Experten aus dem In- und Ausland gehen von einem Pilotenfehler und schlechten Witterungsbedingungen aus. Auch machte den Untersuchungen nach das Bodenpersonal im Tower des Flughafens Smolensk Fehler, aber es gibt kein Anzeichen dafür, dass Sprengstoff an Bord der Maschine war. Eigentlich ist insofern alles ganz klar. Die bisher bekannten Filmszenen vermitteln jedoch eine völlig andere Botschaft, bei der eine junge Journalistin steht im Mittelpunkt der Geschichte steht. Auch sie glaubt zunächst an einen Unfall, aber dann kommen ihr Zweifel, und sie stößt bei ihren Recherchen auf Vertuschungsversuche, Dabei gerät sie ganz im Sinne der Dramaturgie eines Spielfilms unter Druck der „Mächtigen“, weil die vermeintliche Wahrheit – also vielleicht ein Attentat – unter keinen Umständen ans Licht darf.

Insofern passt der Film zum neuen politischen Klima in Polen und der Denkweise nationalistischer Kreise im Land. Dennoch war es „eine schwere Geburt“ das Filmprojekt zu realisieren, da kein öffentliches Institut dafür Geld geben wollte. Die Attentatsthese sollte nicht befördert werden. Aber jetzt mit dem Regierungswechsel wird auch der Film zum neuen politischen Klima passen. Sämtliche Regierungsmitglieder waren am Jahrestag des Absturzes unterwegs. Ihr Credo: „Unter der liberalen Vorgängerregierung sei gelogen und vertuscht worden – jetzt komme die Wahrheit ans Licht.“

„Eine Tragödie wird instrumentalisiert“, glaubt der Publizist Jerzy Baczynski, und er meint: „Lech Kaczynski sowie die weiteren Opfer sollen zu Märtyrern werden. In dieser Geschichte, die zum Mythos der PiS wurde, ist Lech Kaczynski nicht nur ein großer Staatsmann, sondern er wird immer mehr zur wichtigsten Persönlichkeit der jüngsten polnischen Geschichte. Er soll auch Lech Walesa verdrängen.“

Schon der Anlass des Fluges war emotional aufgeladen. Die Maschine flog nach Katyn zur Gedenkfeier, dorthin, wo im Zweiten Weltkrieg 20.000 Polen von den Sowjets auf Geheiß Stalins ermordet wurden. Wieder die verhassten Russen also! Einst war es über Jahrzehnte ein Tabuthema, und es ist noch immer ein nationales Trauma. Folglich kann der Absturz doch kein Unfall gewesen sein. Jarosław Kaczynski, der Parteichef, kniete in tiefer Trauer am Sarg seines Bruders. Sah er da schon seine Mission, ihn zu erhöhen? „Sein Platz in der Geschichte aber ist immer noch unterschätzt. Ich denke, die Zeit wird kommen, wenn man ihn den ersten Präsidenten Polens nennen wird“, sagte er kurz nach dem Tod seines Bruders im Fernsehen.

„Smolensk“ – ein neuer Gründungsmythos der polnischen Nation? Der neue Film lässt offen, ob es ein Attentat war, aber er legt es nahe. Der Regisseur selbst glaubt dran: „Ja, ich glaube an ein Attentat. Denn anders kann man sich das Ganze nicht erklären.“ Mit Smolensk hat die Regierung jedenfalls, was sie braucht, einen Gründungsmythos, einen Gegner wie die Vorgängerregierung oder auch Russland, einen Helden und demnächst auch den passenden Film dazu.

 

von

Günter Schwarz – 07.09.2016