AfD „gemeinsame Herausforderung“
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat nach der CDU-Wahlschlappe am Sonntag im deutschen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern die etablierten Parteien im deutschen Bundestag aufgerufen, das Erstarken der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) als gemeinsame Herausforderung zu begreifen.
„Wenn wir untereinander nur den kleinen Vorteil suchen, um noch irgendwie mit einem blauen Auge über einen Wahlsonntag zu kommen, gewinnen nur die, die auf Parolen und einfache Antworten setzen“, sagte Merkel am Mittwoch in der Generaldebatte zum Haushalt im deutschen Bundestag. „Ich bin ganz sicher: Wenn wir uns das verkneifen und bei der Wahrheit bleiben, dann gewinnen wir (…) das Wichtigste zurück, was wir brauchen: Vertrauen der Menschen“, so Merkel weiter.
„Herausforderung für uns alle“
Das schwache Abschneiden der CDU ist auch eine Schlappe für Merkel, die in Vorpommern ihren Bundestagswahlkreis hat und deren Flüchtlingspolitik in Deutschland umstritten ist. Die AfD kam auf den zweiten Platz und überholte damit die CDU.
Die AfD stelle nicht nur die Union vor Probleme, „sondern sie ist eine Herausforderung für uns alle in diesem Hause“, so Merkel zu den Abgeordneten. Nach Wahlabenden wie am Sonntag müsse sich „jeder von uns an die eigene Nase fassen“. Zugleich machte sie deutlich: „Wählerbeschimpfungen bringen gar nichts.“ Die Sorgen der Menschen – „ob begründet oder unbegründet“ – müssten ernst genommen werden. Man müsse selbstkritisch sehen, was künftig anders gemacht werden könne. Das Ernstnehmen von Sorgen und das Erläutern von Fakten seien aber zwei Seiten einer Medaille.
„Nicht auf Spiel der Rechtspopulisten einlassen“
Die Kritik der Schwesterpartei CSU an der Flüchtlingspolitik sprach Merkel nicht direkt an. Allerdings warnte sie davor, sich auf das Spiel der Rechtspopulisten einzulassen und sich an deren Forderungen zu orientieren – denn dann verliere man die Orientierung. „Wenn auch wir anfangen, in unserer Sprache zu eskalieren, gewinnen nur die, die es noch einfacher ausdrücken“, sagte sie. „Wir dienen unserem Land in diesen Zeiten der Globalisierung am besten, wenn wir uns an unseren Werten orientieren, die uns zu dem gemacht haben, was wir heute sind“, so Merkel. Das seien Freiheit, Sicherheit, Gerechtigkeit und Solidarität.
Merkel: Steuerung der Flüchtlingskrise erreicht
Die deutsche Kanzlerin verwies auf die Fortschritte im Umgang mit der Flüchtlingskrise. In den vergangenen Monaten seien die Abläufe beim deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die Asylgesetzgebung verbessert worden. Auch für die Sicherheit werde mehr getan, fügte Merkel mit Blick auf die Anschläge vom Sommer hinzu. Sie betonte aber zugleich, dass das Problem des Terrorismus nicht erst mit den Flüchtlingen nach Deutschland gekommen sei.
„Insgesamt haben wir heute eine ganz andere Situation als vor einem Jahr“, sagte sie. „Wir haben die Ordnung und Steuerung der Flüchtlingsbewegung in Deutschland erreicht.“ Die Zahl der Neuankömmlinge sei deutlich gesunken. Gleichzeitig komme Deutschland national und international seiner humanitären Verpflichtung nach – „und das nicht nur in Sonntagsreden“. Merkel räumte allerdings ein, dass es noch Probleme bei der Rückführung von Flüchtlingen ohne Bleibeperspektive gebe. Jenen, die kein Bleiberecht haben, müsse gesagt werden: „Ihr müsst unser Land verlassen, sonst können wir die Aufgaben nicht bewältigen.“
Deal mit Türkei erneut verteidigt
Ausdrücklich rechtfertigte Merkel das umstrittene Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei. Zwar müsse es beim Namen genannt werden, wenn in der Türkei Menschenrechte verletzt würden. Aber über die Frage, wie die EU-Außengrenzen gesichert werden sollten, „müssen wir Einigkeit erreichen“. Deutschland habe sich seit der Gründung der Bundesrepublik immer wieder verändert, schloss Merkel ihre Rede. Dass Veränderung nichts Schlechtes sei, zeige das Beispiel der Wiedervereinigung. Gleichzeitig machte die Kanzlerin deutlich: „Deutschland wird Deutschland bleiben – mit allem, was uns daran lieb und teuer ist.“
Harte Schelte von Opposition
Die Opposition ging mit der schwarz-roten Koalition hart ins Gericht. Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte, ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl sei das Regierungsbündnis „de facto am Ende“. CDU, CSU und SPD arbeiteten allesamt nur noch auf eigene Rechnung. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte: „Diese Koalition ist eine Koalition des Chaos – jeder gegen jeden.“
Der stellvertretende Vorsitzende des Koalitionspartners SPD, Ralf Stegner, hatte am Vortag Zweifel an einer weiteren Kandidatur Merkels geäußert. „Frau Merkel hat ihren Zenit eindeutig überschritten“, sagte Stegner dem „Spiegel“ (Onlineausgabe). „Die Frage ist, ob sie ihre Partei noch hinter sich hat.“ Die Niederlage der CDU bei der Landtagswahl am Sonntag in Mecklenburg-Vorpommern bezeichnete der SPD-Vize als „Debakel“ für Merkel.
Seit Monaten wird in der CDU über Merkels Zukunft spekuliert, weil sie nach elf Jahren Kanzlerschaft bisher keine Aussage zu einer Kandidatur bei der Bundestagswahl 2017 gemacht hat. Merkel sagte dazu zuletzt, sie habe sich noch nie festgelegt, wann sie ihre Entscheidung öffentlich machen wolle.
von
Günter Schwarz – 08.09.2016