Frage: „Wer ist hier eigentlich gegen was?“
Angeblich wenden sich die „frustrierten“ und „unzufriedenen“ Wähler der AfD gegen die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel. Dabei fordert diese genau das ein, was die Rechtspopulisten der AfD wollen: „Grenzen dicht und Abschiebungen beschleunigen!“
Kennen Sie übrigens den? – Was ist der Unterschied zwischen Ägypten, der Türkei und den ostdeutschen Bundesländern? – Nun, Ägypten hat das Rote Meer, die Türkei hat das Schwarze Meer, und die ostdeutschen Bundesländer haben bald keine Roten und keine Schwarzen mehr.
Die neue politische Trendfarbe in den Landtagen zwischen Schwerin und Magdeburg ist blau. – Das Blaue vom Himmel! Im Kölner Karneval gab es vor vielen Jahren mal einen Büttenredner, der trat auf als der Mann von der Blauen Partei. Und der erzählte immer solche Witze wie: Was haben die Orgeln in der Kirche gemeinsam mit den Politikern im Wahlkampf? – Kurze Pause, dann kam die lustige Antwort: „Die größten Pfeifen sind immer die lautesten.“
Finden Sie jetzt gar nicht lustig? Ich ehrlich gesagt auch nicht. Mir ist das Lachen vergangen. Seit der nette Herr Schönenborn vom WDR am Sonntag die erste Prognose für den Wahlausgang in Mecklenburg-Vorpommern auf den Bildschirm gewischt hat, seitdem ist mein normalerweise doch eher sonniges Gemüt verfinstert von dunklen Schatten. Und das liegt nicht daran, dass die AfD in Zukunft mit achtzehn zum Teil doch sehr undurchsichtigen Figuren im Schweriner Landtag residieren wird. So etwas kann bei demokratischen Wahlen schließlich schon einmalvorkommen. Da kann es auch schon einmal passieren, dass die Wählerinnen und Wähler ihre Kreuze an Stellen machen, die ich selber meiden würde, wie ein Pollen-Allergiker den Birkenwald.
Nein, was mich am Ergebnis der Wahl in Meckvorpomm so nachhaltig erschüttert, um nicht zu sagen jeglicher Orientierung beraubt hat, das sind die Gründe, warum 21 Prozent die AfD gewählt haben. Die werden von den Wahl-Forschern und Analysten ja vor, während und nach einer Wahl akribisch erforscht und analysiert. Wer in welchem Alter mit welchem Einkommen aus welcher Bildungsschicht hat da wen wo und warum gewählt, weil er welche Aussage für zutreffend hält und welche nicht. Alles geht selbstverständlich streng wissenschaftlich vor und wird mit Zahlen aller Art eindeutig belegt.
Tja, und was die mecklenburg-vorpommerschen Wähler-Massen-Wanderungen ins Blaue betrifft, sind sich die Experten einig, die Menschen haben die AfD gewählt, weil sie gegen die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin und ihrer Regierung sind. – Wie bitte? – Und ich dachte immer, die AfD fordere genau das, was die schwarz-rote Koalition in den letzten Monaten auf den mehr oder weniger geschlossenen Flüchtlings-Weg gebracht hat: Die Grenzen sind dicht! – Die Abschiebungen werden beschleunigt! – Der Familiennachzug ist ausgesetzt!
Was da in den Asylpaketen 1 und 2 sowie im sogenannten Integrationsgesetz an Verschärfungen beschlossen wurde, das sind doch genau die Zwangsmaßnahmen, die seit Monaten aus den krakelenden Lautsprechern der AfD in die Landschaft gebrüllt werden. Das Selfie mit dem freundlichen Gesicht der Barmherzigkeit und der Hilfsbereitschaft ist längst gelöscht. Die Willkommenskultur ist nur noch Schnee von gestern. Das Wintermärchenbuch wanderte in den Altpapier-Container.
Und das macht mich so ratlos. Ich bin nämlich gegen die aktuelle Flüchtlings-Politik der Regierung mit all ihren Sanktionen und Verschärfungen! – Muss ich jetzt auch AfD wählen? – Wie gesagt: „Ich habe die Orientierung vollkommen verloren oder um es wissenschaftlich auszudrücken, ich leide am Schönenborn-Syndrom: völlig verwischt.
von
Günter Schwarz – 08.09.2016