Die Situation für Christen im Nahen Osten ist aufgrund des zunehmenden Fundamentalismus im Islam äußerst schwierig. Dennoch halten lokale Kirchenführer nichts davon, die Region zu verlassen. Sie fürchten sich vor einem Ende des Christentums im Nahen Osten und stehen Merkels „Politik der offenen Tür“ kritisch gegenüber.

Eine Messe in Erbil, der Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan im Irak. Hier sind die Gottesdienste immer voll. Zum einen hat Erbil ohnehin eine große christliche Gemeinde. Zum anderen sind während der vergangenen Jahre mehrere hunderttausend Christen aus anderen Teilen des Irak in das kurdische Autonomiegebiet geflohen.

Romeo Hakari will alles tun, damit diese Menschen im Land bleiben. Er ist Generalsekretär einer christlichen irakischen Partei, der „Demokratischen Partei Bet-Nahrain“. „Als der IS im August 2014 in unsere Siedlungsgebiete kam, erklärte Frankreich offiziell, dass sie ihre Türen für alle Christen öffnen, die unser Land verlassen wollen“, sagt Hakari. „Meine Partei und ich waren völlig dagegen. Wir haben dem französischen Konsulat in Erbil ein harsch formuliertes Schreiben übergeben – dagegen, dass sie unsere Leute dazu ermuntern, das Land zu verlassen. Wer sowas macht, sieht ganz wie der IS aus.“

Kirchenführer ist gegen Merkels Politik

Als eine von den USA geführte Allianz 2003 in den Irak einmarschierte, lebten noch mehr als eine Million Christen. Jetzt seien es optimistisch geschätzt gerade noch 250.000, sagt Archimandrit Emanuel Youkhana, Erzdiakon der Assyrischen Kirche mit Sitz in Dohuk, einer irakisch-kurdischen Stadt nördlich von Erbil. Youkhana sagt, dass auch er zutiefst unglücklich sei über die – so wörtlich – „Politik der offenen Tür“, die Bundeskanzlerin Angela Merkel vor einem Jahr eingeleitet habe.

„Wenn wir hier unsere Wurzeln verlieren und wenn die Türen offen sind, dann vollenden wir die noch unvollendete Mission des IS, den Nahen Osten von seinen Christen zu säubern“, sagt Youkhana. „Und die 2000 Jahre alte Existenz der Christen hier kommt dann zu einem Ende. Dies wäre ein großer Verlust – für das Christentum, für unsere Länder, unsere Regionen und für unsere Partner.“

„Christen werden in diesem Land gebraucht“

Doch viele Christen in Irakisch-Kurdistan sitzen auf den sprichwörtlich gepackten Koffern und hoffen darauf, nach Europa gehen zu können. Erzdiakon Youkhana sagt, er verstehe das, und bei Einzelfällen sei das in der Tat die einzige Lösung. Aber: „Das Christentum, die christlichen Kirchen werden in diesem Land dringend gebraucht, weil wir eine Botschaft des Friedens, der Liebe, der Koexistenz, der Toleranz predigen“, sagt Youkhana. „Gerade in dieser Umgebung des Konflikts, der Gewalt und des Terrors braucht es unsere Rolle als Brückenbauer zwischen den verschiedenen Partnern.“

Youkhana warnt die Europäer davor, mit dem Öffnen ihrer Türen eine falsche Botschaft zu senden – die Botschaft, dass es für die Christen im Nahen Osten keine Hoffnung mehr gebe. „Jedes Licht ist schön und nützlich, und das schönste Licht ist das, das in der Dunkelheit leuchtet. Hier in Irakisch-Kurdistan brennt eine Kerze der Hoffnung, die uns Licht spendet. Lasst uns darauf aufbauen und Chancen eröffnen!“, sagt Youkhana.

Darauf aufbauen und eine Zukunft schaffen – darum bemüht sich Youkhana nach Kräften. Er führt die Hilfsorganisation CAPNI, die im Nordirak in verschiedenen Bereichen tätig ist, wesentlich unterstützt von der katholischen und der evangelischen Kirche in Deutschland. Es dürfe nicht sein, so Youkhana, dass das Christentum ausgerechnet im Irak, im biblischen Mesopotamien, bald nur noch im Museum zu besichtigen ist.

von

Günter Schwarz – 10.09.2016