Extremismus im Kinderzimmer
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge registriert immer mehr Radikalisierungen. Besonders erschreckend: Die Extremisten werden immer jünger – und es sind immer häufiger Mädchen und junge Frauen.
Es radikalisieren sich in Deutschland offensichtlich immer mehr muslimische Mädchen und junge Frauen. Die Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) verzeichne einen starken Anstieg der Beratungen, in denen es um die religiöse Radikalisierung von Mädchen gehe, berichtet die „Neue Osnabrücker Zeitung“.
Waren in der Vergangenheit bei etwas mehr als einem Viertel der Beratungsfälle Mädchen betroffen, so sind es 2015 bereits knapp die Hälfte aller Fälle gewesen. Der Trend setze sich auch in diesem Jahr fort. Seit der Freischaltung ihrer Hotline 2012 gingen bei der Beratungsstelle mehr als 2500 Anrufe ein.
Nach Einschätzung von Michael Kiefer vom Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück sind „bereits 13-Jährige unter den Mädchen, die sich radikalisieren“. Die Altersgrenze verschiebe sich immer weiter nach unten. Anders als bei Jungen, die häufig provozierten und konfrontativ seien, vollziehe sich die Radikalisierung von Mädchen im Stillen, erklärte Kiefer. „Wir sprechen von einer Kinderzimmerradikalisierung“, sagte der Islamwissenschaftler.
Salafisten geben einfache Antworten
Religionspädagoge André Taubert erklärte gegenüber dem Blatt, damit Mädchen für die Botschaften der religiösen Extremisten empfänglich sind, sei eine persönliche Krise unbedingte Voraussetzung. „Bei Mädchen hat das ganz oft mit Unsicherheit zu tun, mit dem anderen Geschlecht, mit körperlichen Veränderungen während der Pubertät. Im Grunde sind das alles Dinge, die Mädchen schon immer beim Erwachsenwerden bewegt haben.“ In diesen Krisensituationen gäben Salafisten einfache Antworten auf die persönlichen Probleme der Jugendlichen. „Die Salafisten wissen mit ihrer Propaganda jugendliche Probleme zu adressieren. Das tun politische Gruppierungen in der Regel nicht“, so Taubert.
Radikalisierung findet bei Mädchen aus allen gesellschaftlichen Schichten statt. Manche sind atheistisch aufgewachsen, andere christlich oder moderat muslimisch. „Die Mädchen, die sich radikalisieren, kommen in den seltensten Fällen aus muslimisch konservativen Elternhäusern“, sagt Taubert. „Wer in einem Elternhaus aufwächst, wo der Islam einen alltäglichen Platz hat, ist für die Botschaften der Extremisten nicht empfänglich, weil er die Komplexität des Glaubens begreift und sich nicht von holzschnittartigen Religionsauslegungen verleiten lässt.“
Während der Einstieg in die extremistische Szene häufig über persönliche Kontakte geschieht, spielen bei der weiteren Radikalisierung das Internet und vor allem Soziale Medien eine entscheidende Rolle. Michael Kiefer vom Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück sagte der „NOZ“, in der Regel mutiere WhatsApp dann zum Hauptkommunikationsmittel. Mädchen und junge Frauen, die nach Syrien ausgereist seien, würden von dort aus gezielt WhatsApp-Gruppen ausbauen und Kontakte knüpfen.
von
Günter Schwarz – 11.09.2016