Deutscher „Spiegel“-Reporter muss Türkei verlassen
Wie soeben gemeldet wurde, musste der „Spiegel“ seinen Reporter Hasnain Kazim aus der Türkei abziehen, weil ihm die Regierung in Ankara den Presseausweis – und damit die Aufenthaltserlaubnis im Land – verweigert. Er ist nicht der erste Journalist, der in dem Land so behandelt wird. Die Arbeitsbedingungen für Reporter aus dem Ausland werden unter Erdoğans Regime immer schwieriger.
Kurz vor dem umstrittenen Deal der EU mit der Türkei in der Flüchtlingskrise zeigt das Land erneut, wie schlecht es um die Pressefreiheit unter den diktatorischen Bedingungen in der Türkei bestellt ist. Der „Spiegel“ muss seinen Türkei-Korrespondenten Hasnain Kazim abziehen, weil sein Presseausweis in Ankara nicht verlängert wurde. Da die Aufenthaltsgenehmigung für ausländische Journalisten an diese Akkreditierung gekoppelt ist, musste er zusammen mit seiner Familie ausreisen.
Reporter ohne Grenzen (dbate.de) veröffentlichten von ca. 3 Monaten ein Video, das Einblick in die Arbeit von Journalisten unter den Repressionen der Erdoğan-Regierung gibt und sie sagen: „Die Türkei entwickelt sich zu autoritärem Staat!“
Kazim könne „nicht mehr frei im Land arbeiten“ und sei abgezogen worden, meldete „Spiegel Online“. Er berichte nun von Wien aus über die Türkei. „Das Verhalten der türkischen Behörden lässt für uns keinen anderen Schluss zu, als dass unser Korrespondent aufgrund seiner journalistischen Berichterstattung vor Ort nicht mehr erwünscht ist“, erklärte der Chefredakteur von „Spiegel Online“, Florian Harms in einer Meldung „in eigener Sache“. „Dieses Verhalten ist aus unserer Sicht nicht tolerabel und verletzt die Pressefreiheit“, schreibt Harms. Kazim selbst sagte: „Es sieht so aus, als würden in der Türkei zunehmend ausländische Korrespondenten ins Visier geraten.“
Aus Sicherheitskreisen sei ihm zugetragen worden, dass ihm ein Prozess wegen Unterstützung einer Terrororganisation drohen könnte, sollte er das Land nicht verlassen. Aus Sorge, dass die Sicherheitsbehörden die Ausreise verhindern könnten, begleitete ein deutscher Diplomat die Familie bis zur Passkontrolle am Istanbuler Atatürk-Flughafen. Sollte Kazim festgehalten werden, so lautete ein besorgter Ratschlag, sollten die Ehefrau und der kleine Sohn alleine fliegen.
Auch „FAZ“, „Aftenposten“ und „Welt“ betroffen
Kazim ist nicht der erste ausländische Journalist, dem die türkische Regierung die Berichterstattung erschwert. „Sein Kollege von der FAZ, Michael Martens, zog weg, eine Journalistin der norwegischen Zeitung „Aftenposten“ ebenfalls. Und spätestens mit der Ankündigung des autokratischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, den Terrorismusbegriff weiter fassen zu wollen, dürften noch mehr Journalisten über einen Ortswechsel ernsthaft nachdenken“, schreibt Hendrik Zörner vom Deutschen Journalistenverband (DJV) in einem Blogbeitrag auf der DJV-Homepage.
Der Antrag der Korrespondentin von „Aftenposten“ auf einen Presseausweis wurde nach Darstellung des Blattes ohne Angabe von Gründen abgelehnt, Silje Rønning Kampesæter verließ im vergangenen Monat das Land. Die Zeitung vermutet, dass die kurdischen Wurzeln von Kampesæters Verlobtem der Grund gewesen sein könnten. „Wir sind ohne größere Probleme permanent in Russland und China stationiert, aber uns wird nicht erlaubt, im NATO-Land Türkei zu bleiben2, kritisierte Chefredakteur Espen Egil Hansen.
Noch ein weiterer Korrespondent ist betroffen: Dem „Welt“-Reporter Deniz Yücel wird von der AKP-Presse vorgeworfen, Sympathisant der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein. Hintergrund war eine kritische Frage Yücels bei der Pressekonferenz von Merkel und Davutoglu am 8. Februar in Ankara. Yücel besitzt einen deutschen und einen türkischen Pass, weshalb er nicht ausreisen muss. Zum Schutz ihres Korrespondenten entschied die „Welt“-Chefredaktion aber ebenfalls, dass er vorläufig nicht mehr von vor Ort berichtet.
Kazim „aufgrund seiner Berichterstattung nicht mehr erwünscht“
Kazims Antrag auf einen Presseausweis vom Dezember hatte die Regierung nie abgelehnt, offiziell wird er bearbeitet. Über die Wochen hinweg gaben Kazim, der „Spiegel“ und auch die Bundesregierung aber die Hoffnung auf. Hinter den Kulissen bemühte sich dem Vernehmen nach sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich um Kazims Akkreditierung. Der Ausweis wird laut DJV immer nur für ein Jahr ausgestellt.
Vorgehen auch gegen türkische und ausländische Medien
Die türkische Regierung steht derzeit wegen ihres Umgangs mit kritischen Journalisten und Oppositionellen heftig in der Kritik. Kürzlich stellte sie die regierungskritische Zeitung „Zaman“ unter staatliche Kontrolle und Journalisten wurden mit Klagen unter Druck gesetzt. Oppositionelle Zeitungen werden auf Regierungskurs gezwungen, Redakteure verlieren ihre Jobs. Der Ausstrahlung des unabhängigen Senders IMC TV wurde drastisch eingeschränkt. Dem Chefredakteur der kritischen Zeitung „Cumhuriyet“, Can Dündar, und seinem Hauptstadtbüroleiter Erdem Gül droht lebenslange Haft unter anderem wegen Spionage, der Prozess soll kommende Woche beginnen. Erdoğan hat erste in dieser Woche gefordert, die Terrorismusdefinition im Strafrecht auszuweiten.
von
Günter Schwarz – 15.09.2016