Berlin wählt am kommenden Sonntag, den 18. September, ein neues Abgeordnetenhaus. Wir haben einmal die SPD-Kandidatin Maja Lasić im Arbeiterbezirk Wedding beim Wahlkampf beobachtet, um zu sehen, wie sie um die Stimmen ihrer Wähler kämpft. Uns fällt auf, ihr Hauptinteresse gilt nicht den Flüchtlingen, sondern dem Wohlergehen der Einheimischen.

Die 37-jährige Maja Lasić geht seit Monaten in ihrem Wahlkreis von Tür zu Tür. Sie beginnt immer zuoberst und klingelt sich dann von Stockwerk zu Stockwerk nach unten. „Da ist die Intimität des Moments. Es ist eine andere Begegnung, als wenn man sich auf der Strasse sieht“, sagt Lasić.

In der Stralsunder-Strasse 27 in Berlin-Wedding öffnen ganz unterschiedliche Menschen ihre Wohnungstüren. Eine Mutter mit Kind wird von der SPD-Kandidatin geschickt auf das Thema Schule angesprochen. Eine alte verwirrte Frau in Unterwäsche, ein Mann in Unterhose, der die Türe öffnet, so wie er ist – aber sich dann doch etwas geniert.

Lasić bilanziert: „Das war ein klassisches Haus. Einen Teil habe ich gar nicht angetroffen, ein Teil mit mässigem Interesse.“ Mit acht Personen konnte sie sprechen. Maximal drei würden sie wohl wählen, ist Lasićs Einschätzung. Viele Einwohner von Wedding sind Nichtwähler. Nur etwa die Hälfte hat einen deutschen Pass, und von denen wählt nur gerade die Hälfte.

Sie war selbst einmal ein Flüchtling

Maja Lasić hat bisher auch erst einmal gewählt, bei der Europawahl. Und jetzt stellt sie sich selbst zur Wahl. Mit 14 kam sie 1992 aus dem Bosnienkrieg nach Berlin, sie hat erst seit kurzem den deutschen Pass und seit längerem einen Doktortitel der Biochemie. „Wenn mir jemand klagt, es kämen so viele Flüchtlinge, dann sage ich, dass das nicht das erste Mal ist. Anfang der 1990er Jahre kamen 1,5 Millionen Russlanddeutsche und 300‘000 Bosnier.“ Sie erkläre den Menschen, das habe Deutschland damals auch geschafft. Und Angst hätten die Leute damals auch gehabt. „Da sagen die Leute jeweils: ,Stimmt‘.“

Flüchtlinge sind ein wichtiges, aber nicht das Hauptthema. Die andern seien dann Thema, wenn man sich selbst vergessen fühle, gibt Lasić zu bedenken. Mieten und Schulen seien für sie das Wichtigste. Zwei Jahre gab sie selbst in einer sogenannten schwierigen Schule im Wedding Unterricht.

Neuste Zahlen von dieser Woche zeigen, dass 2015 in Deutschland jedes siebte Kind unter 15 Jahren Eltern hatte, die Sozialhilfeempfänger waren und in Armut lebten. 30‘000 mehr als 2014. Und es ist wenig bekannt, aber doch eine Tatsache, dass die Aufstiegschancen in Deutschland geringer sind als in anderen Industriestaaten.

Sozial durchmischte Schulen als Ziel

Ein Rezept ist, dass die Schulen für Kinder mit guten Sprachkenntnissen zusätzliche Kurse in Naturwissenschaften anbieten. Diese Leistungskurse sollen auch wohlhabendere Familien mit Kindern in den Wedding locken. Am Ende werden die Schulen sozial durchmischter und insgesamt besser.

Die Gustav-Falke-Schule praktiziert dieses Modell bereits. Es gibt erste Erfolge zu verzeichnen. Der Prozentsatz der Kinder mit Zuschüssen für Schulbücher, also Kinder mit Eltern, die von Sozialhilfe leben, ist von 90 auf 70 Prozent gesunken.

Hauptkonkurrenz sind die Grünen

Der Wedding war einst berühmt dafür, dass er die Kommunisten wählte. Inzwischen ist das anders. Die stärkste Kraft sind die Sozialdemokraten. Und: „Meine Hauptkonkurrenz sind die Grünen“, sagt Lasić. Grund sei die allmähliche Gentrifizierung des Wedding.

Das Hauptthema in diesem Wahlkampf aber ist die AfD (Alternative für Deutschland). Auch von der SPD werden Wähler zur AfD überlaufen, das weiß Lasic. „Ja, das geschieht. Xenophobie (Fremdenfeindlichkeit) ist nichts, was ausschließlich im rechten Milieu verankert ist.“

von

Günter Schwarz – 16.09.2016