Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Beginn des informellen EU-Treffens in Bratislava
Wie kritisch ist die Situation der EU nach dem Brexit-Votum und der andauernden Flüchtlingskrise? Die 27 verbleibenden Staaten der Europäischen Union suchen in Bratislava eine gemeinsame Agenda. Ziel ist, die vielen Streitigkeiten untereinander zu überwinden.

Sichere Grenzen, Schutz vor Terror, Jobchancen: Die Europäische Union ringt um einen Neustart, um das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen. Knapp drei Monate nach dem Votum der Briten für einen EU-Austritt feilten die 27 verbleibenden Staaten am Freitag in Bratislava an einem Plan für die nächsten Monate. Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnte rasche Fortschritte an. „Wir sind in einer kritischen Situation“, sagte sie.

„Bratislava Roadmap“: So will Juncker die EU wieder auf Kurs bringen

Es geht um eine sogenannte Agenda von Bratislava oder auch „Bratislava Roadmap“, mit der die EU Handlungsfähigkeit beweisen will. Dafür schlug EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ein gutes Dutzend konkreter Projekte vor. Viele Teilnehmer hätten zwei Topthemen genannt, hieß es aus EU-Diplomatenkreisen: Zum einen Sicherheit – dazu zähle auch die Sicherung der Außengrenzen gegen illegale Zuwanderung – und zum anderen die Belebung der Konjunktur und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Es habe eine offene und ehrliche Debatte und viele Schnittmengen gegeben, hieß es.

EU-Gipfel in Bratislava: Aus dem Krisenherd

Das Brexit-Votum Ende Juni hatte die EU schwer erschüttert. Die Entscheidung der Briten, die EU zu verlassen, hat wie ein greller Scheinwerfer den Zustand der Europäischen Union beleuchtet. Doch ist sie auch wegen Dauerstreits in der Krise, unter anderem über die Flüchtlings- und Wirtschaftspolitik. Die vier osteuropäischen Staaten Ungarn, Slowakei, Tschechien und Polen lehnen die eigentlich schon beschlossene Umverteilung von Flüchtlingen ab, was zu heftigen Spannungen geführt hat.

Als Kompromiss schlugen die vier sogenannten Visegrad-Staaten gemeinsam ein Konzept namens „flexible Solidarität“ vor – wer weniger Flüchtlinge aufnimmt könnte demnach mehr für den gemeinsamen Grenzschutz tun. In Bratislava deutete sich an, dass die Fronten aufweichen. Eine Lösung wird aber frühestens Ende des Jahres erwartet.

Merkel sagte schon zum Auftakt: „Wenn in vielen Mitgliedsstaaten, auch in Deutschland, Populisten und Nationalisten Zuwachs haben, ist das nicht nur ein Problem für die einzelnen Staaten, sondern eben auch der EU. Es geht darum, durch Taten zu zeigen, dass wir besser werden können.“ Sie nannte neben den Themen innere und äußere Sicherheit und Bekämpfung von Terrorismus auch die Zusammenarbeit der Europäer bei der Verteidigung. Für die Schaffung von Arbeitsplätzen setzt sie vor allem auf den digitalen Binnenmarkt.

Der französische Präsident François Hollande, mit dem sich Merkel vorab schon am Donnerstag in Paris abgestimmt hatte, äußerte sich ganz ähnlich. Er betonte die Stärkung der europäischen Verteidigung. Derzeit sei Frankreich besonders engagiert, doch wolle sein Land nicht alleine dastehen. Europa müsse sich notfalls auch ohne die USA selbst verteidigen können.

Viele der Staats- und Regierungschefs betonten, dass Europa vor einer bedeutenden Zäsur stehe. Der belgische Ministerpräsident Charles Michel sprach von einem Moment der Wahrheit. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras meinte: „Was Europa braucht, ist eine neue Vision und eine konkrete Agenda des Wandels.“ Gastgeber Robert Fico mahnte Offenheit und Ehrlichkeit an. Als Zeitrahmen für konkrete Beschlüsse steckt sich die EU das 60. Jubiläum der Römischen Verträge im März 2017.

Vorschläge hatten vorab Gipfelchef Donald Tusk und Kommissionschef Juncker gemacht, etwa zum Aufbau eines gemeinsamen Grenzschutzes oder zusätzlicher Milliardeninvestitionen. Schon in Bratislava sollte es erste Signale geben, dass die EU mit der Sicherung ihrer Außengrenzen ernst macht – mit der Entsendung von 200 Beamten nach Bulgarien, um die Grenze zur Türkei gegen Zuwanderung dichter zu machen.

von

Günter Schwarz – 17.09.2016

Foto: Instagram @bundeskanzlerin