Berlin kriegt wohl einen „flotten Dreier“
Nach der Wahl für das Berliner Abgeordnetenhaus in den ehemaligen Preußischen Landtag muss sich Regierungschef Müller zwei neue Partner suchen, um im Rathaus zu bleiben. Zu rechnen ist mit einer rot-rot-grünen Koalition, obwohl der Regierende Bürgermeister Müller will mit allen Parteien Sondierungsgespräche führen will – nur mit einer nicht.
Nach starken Verlusten für Rot-Schwarz bei der Wahl am Sonntag will Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller mit einer Drei-Koalition weiterregieren. Am wahrscheinlichsten gilt die bundesweit erste rot-rot-grüne Koalition unter Führung der SPD. Müller kündigte am Wahlabend Gespräche mit allen Parteien an, die ins Abgeordnetenhaus einziehen – mit Ausnahme der AfD. Ziel sei eine stabile Regierung, sagte Müller. „Wir haben unser Ziel erreicht: Wir sind stärkste politische Kraft in dieser Stadt geblieben und wir haben einen Regierungsauftrag.“ In den Bezirken kann sich die AfD Hoffnung auf mehrere Stadtratsposten machen.
Die Berliner hatten am Sonntag den rot-schwarzen Senat nach fünf Jahren abgewählt. Beide Parteien erzielten ihr schlechtestes Ergebnis in der Nachkriegsgeschichte. Nach der Hochrechnung für den RBB machten nur noch 21,6 Prozent der Wähler ihr Kreuz bei der SPD, 6,7 Prozentpunkte weniger als beim letzten Mal. Die CDU mit ihrem Spitzenkandidat Frank Henkel sackte um 5,8 Punkte auf 17,5 Prozent ab. Auch die Grünen verloren: Mit 15,1 Prozent (-2,5 Punkte) sind sie möglicherweise nur noch viertstärkste Kraft hinter der Linken, die vier Punkte zulegt und 15,7 Prozent der Stimmen erreicht. Die AfD zieht aus dem Stand mit 14,1 Prozent ins Landesparlament ein, nach fünf Jahren ist auch die FDP wieder vertreten, die 6,7 Prozent erreicht. Die Piratenpartei scheitert mit 1,7 Prozent klar an der Fünf-Prozent-Hürde und ist nicht mehr vertreten.
CDU-Landeschef Henkel äußerte sich enttäuscht, betonte aber, an dem Ergebnis habe jeder seinen Anteil. „Ich trete nicht zurück.“ Linken-Spitzenkandidat Klaus Lederer sagte zu dem deutlichen Zugewinn: „Ich hätte das so nicht für möglich gehalten.“ Grünen-Spitzenkandidatin Ramona Pop sagte, es sei Zeit für einen politischen Neuanfang. „Offensichtlich sieht es so aus, dass eine Regierungsbildung an den Grünen vorbei nicht mehr möglich ist.“ Rechnerisch gibt es auch Varianten ohne die Grünen. Eine sogenannte Deutschland-Koalition aus CDU, SPD und FDP hätte jedoch nur eine hauchdünne Mehrheit von einem Sitz. Nach der RBB-Hochrechnung verteilten sich die Sitze im Landesparlament so: SPD 35, CDU 29, Grüne 25, Linke 26, AfD 23 und FDP 11. Die absolute Mehrheit beginnt voraussichtlich bei 75 Sitzen.
Müller, dessen Partei seit 15 Jahren den Regierungschef im Roten Rathaus stellt, ließ am Abend aber offen, welche Koalition er bevorzugt – betonte allerdings Gemeinsamkeiten mit den Grünen. Vor der Wahl hatte er ein Bündnis mit Grünen und Linken in den Blick genommen.
Vor fünf Jahren war ein rot-grünes Bündnis daran gescheitert, dass sich die Grünen gegen einen Weiterbau der Stadtautobahn wendeten. Dieses Mal vermied Pop eine Festlegung: §Das ist kein Thema für heute und auch nicht für morgen und auch nicht für diese Koalitionsverhandlungen.“ Die CDU warb für ein Dreierbündnis unter ihrer Beteiligung. „Herr Müller muss klären, ob er ein Linksaußen-Bündnis möchte oder ob er auf Stabilität in der Mitte setzt“, sagte Vorstandsmitglied Monika Grütters. Es gebe Mehrheiten jenseits von Rot-Rot-Grün, etwa ein Bündnis mit der CDU und den Grünen oder der FDP. „Von null auf zweistellig – das ist einmalig für Berlin“, sagte der Spitzenkandidat der AfD, Georg Pazderski, vor seinen Anhängern. „Wir werden eine wirkliche Opposition sein“, kündigte er an. Aussichten auf Stadtratsposten hatte die rechtspopulistische Partei nach den zeitgleichen Bezirkswahlen am Sonntagabend rein rechnerisch in Treptow-Köpenick, in Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg, Reinickendorf und eventuell Spandau.
Die AfD holte mindestens vier Direktmandate für das Abgeordnetenhaus – in den im Osten liegenden Stadtteilen Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Pankow. Auch in anderen Wahlkreisen sind noch Direktmandate für die AfD möglich. In Marzahn-Hellersdorf wurde sie mit 23,6 Prozent der Zweitstimmen stärkste Partei. Auf Platz zwei kam die Linke mit 23,5 Prozent. Die Wahlbeteiligung war in diesem Jahr deutlich höher als bei der letzten Wahl 2011. 67,3 Prozent der 2,48 Millionen Wahlberechtigten gaben nach Hochrechnungen ihre Stimme ab, ein Plus von 7,1 Punkten. In einigen Wahllokalen mussten die Bürger bis zu 20 Minuten Schlange stehen, bis sie ihre Kreuze machen konnten. „Das ist gelebte Demokratie“, bemerkte Landeswahlleiterin Petra Michaelis-Merzbach.
von
Günter Schwarz – 19.09.2016