Die AfD wird in Berlin so um und bei 14 Prozent erreichen – aber sie hatte sich bei der Abgeordnetenhauswahl in der Bundeshauptstadt deutlich mehr erhofft. Dennoch zeigt sie sich bei TV-Auftritten der Öffentlichkeit gegenüber zufrieden. Schließlich verfolgt sie „ein viel, viel größeres Ziel“.

„Überhaupt nicht“, sagt Jörg Meuthen auf die Frage, ob das Ergebnis der Abgeordnetenhauswahl in Berlin eine kleine Ernüchterung sei. Der AfD-Chef ist aus Stuttgart extra in die Hauptstadt gekommen, um bei der Wahlparty seiner „Volksgenossen“ dabei zu sein. „Ich bin hochzufrieden.“

Doch Sieger sehen anders aus, schreibt eine Journalistin der Deutschen Presse-Agentur; der Jubel sei eher verhalten, als der blaue Balken bei der ersten Hochrechnung um 18:15 Uhr nur bis zur Zwölf kriecht.

Man könne Berlin ja nicht mit Mecklenburg-Vorpommern vergleichen, fügt Meuthen im „n-tv“ Interview hinzu. Hier gebe es „ein intensives Großstadtmilieu“. Mecklenburg-Vorpommern, wo die AfD vor zwei Wochen mit fast 21 Prozent den zweiten Platz erreicht hatte, sei dagegen ein ländlich geprägtes Flächenland. Im AfD-Vokabular, das Meuthen heute nicht benutzt, könnte man auch sagen: Berlin steht für das „links-rot-grün versiffte 68er-Deutschland“.

„Diese Stadt ist sehr rot-grün geprägt“, sagt Meuthen, „und dann aus dem Stand auf über 12 Prozent zu kommen – das ist bemerkenswert.“ Am Ende werden es sogar fast 14 Prozent, dazu fünf Direktmandate.

Zur zweitstärksten Partei hat es nicht gereicht

Und doch ist die AfD hinter ihren Erwartungen zurückgeblieben. Da sind nicht nur die 20,8 Prozent in Schwerin, da ist auch die öffentliche Ankündigung von AfD-Spitzenkandidat Georg Pazderski, „wir werden wahrscheinlich – nein, wir erleben, dass die AfD zweitstärkste Partei wird“. Grundlage dieser kühnen Hoffnung war vermutlich die Beobachtung, dass die AfD in Umfragen bislang meist schlechter abschnitt als später bei Wahl.

Doch Pazderski, ein früherer Bundeswehr-Oberst, will sich die Feierlaune nicht von seinen eigenen Erwartungen verderben lassen. „Ich habe gehofft, dass es gut wird, aber das ist fantastisch“, ruft er im Charlottenburger Ratskeller. Parteichefin Frauke Petry ist nicht nach Berlin gekommen, um mit ihren Parteifreunden zu feiern. Da bleibt es ausgerechnet ihrem parteiinternen Gegenspieler Meuthen überlassen, ihre Aussagen zu dem Wort „völkisch“, das sie „positiv besetzt“ sehen will, zu verteidigen. Pazderski hatte Petrys Äußerung „absolut abwegig“ genannt. Meuthen sagt nun, er halte diese Vokabel auch „für kontaminiert“, aber hinter Petrys Vorstoß stecke keine böse Absicht, „dazu kenne ich Frauke Petry viel zu gut“.

Vermutlich gibt es Wähler, die ihr Kreuz bei der AfD machen, weil deren Spitzenpersonal immer wieder mit rechtsradikalen Signalen hantiert, die dann nicht so gemeint sein sollen. Doch auf die weitaus meisten Wähler der AfD dürfte das nicht zutreffen. Nach einer vorläufigen Analyse von Infratest Dimap für die ARD gingen 37.000 ehemalige CDU-Wähler zur AfD, außerdem 22.000 ehemalige SPD-Wähler, 11.000 ehemalige Linken-Wähler, 11.000 ehemalige Piraten-Wähler, 4000 ehemalige FDP-Wähler und 3000 ehemalige Grünen-Wähler. Den Großteil ihrer Wählerschaft machen 64.000 ehemalige Nichtwähler und 45.000 Wähler anderer Parteien aus.

Viel spricht also dafür, dass die AfD ein Protestgefühl bündelt, das radikale Wähler zwar durchaus anspricht, das aber auch anschlussfähig ist für Menschen aus der Mitte der Gesellschaft. Nach Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen haben 44 Prozent der AfD-Wähler die Partei wegen ihrer politischen Forderungen gewählt, 53 Prozent als „Denkzettel“. Falsch ist auch die Annahme, die AfD sei ein Ost-Phänomen. Zwar erhielt die Partei im Osten der Stadt mehr Stimmen als im früheren Westberlin (knapp 12 zu knapp 17 Prozent) und holte auch alle ihre Direktmandate in östlichen Wahlbezirken. Aber im bürgerlichen Steglitz-Zehlendorf erhielt die AfD immerhin 11, in Spandau knapp 17 Prozent.

Kurz gesagt, die AfD hat durchaus Grund zum Jubeln, und wer noch immer glaubt, sie werde bald von der Bildfläche verschwinden, dürfte bedauerlicherweise einem Irrtum aufsitzen.

von

Günter Schwarz – 19.09.2016