Ja, ich bin mitschuldig! Als Jüngling, im zarten Alter von 14 Jahren, nehme ich an diversen Jugendgruppenleiter-Lehrgängen der evangelischen Kirche teil. Dort vermittelt man uns, dass autoritäre Erziehung ziemlich uncool sei. Selbst bei akutem Handlungsbedarf sei »paar auf’s Maul« niemals eine Option, frohlockt der Diakon. Stattdessen konzentriere man sich auf die positiven Eigenschaften eines Kindes, um dessen Selbstbewusstsein mit Lob und Zuspruch zu stärken.

Ausgestattet mit diesem interdisziplinären Halbwissen pflanzen wir uns dann unlängst später selbst fort und erziehen die Früchte unserer Lenden. Und das nicht etwa nur für die unverfängliche Dauer einer Jugendfreizeit – nein – quasi 18 Jahre lang werden die positiven Eigenschaften dieser neuen Generation in den Vordergrund geschoben.

Und nun ist sie da… die Generation der 20 bis 30jähren selbstgerechten und egozentrischen Arschlöcher und Reclam-Terroristen. Wir haben Monster geschaffen!

Ausgestattet mit einem gewaltfreien Elternhaus inklusive sorgloser Kindheit studieren sie Soziologie, Philosophie, Germanistik oder Kunst. Karrieristen mit kapitalistisch geprägtem Stammbaum verteilen sich derweil auf Bereiche wie Jura oder Betriebswirtschaft. Sie beide verbindet: sie sind die Geilsten.

Die Agenda ist relativ einfach: Man feiert sich selbst in jährlichen Events wie der re:publica (Konferenz um die digitale Gesellschaft), hält Sascha Lobo für eine Art Gott und umgibt sich mit Gleichgesinnten, die dabei helfen, die eigene Brillanz zu unterstreichen. Ausgerüstet mit diversen Apple-Gadgets wird dann vorrangig auf Twitter an der Existenzberechtigung diskutiert. Wenn es geht mit viel Anglizismen und Gendergap. Am Sonntagabend ist #Tatort der trending-Hashtag. Ziel beim #Tatort ist das Herausfiltern möglichst vieler unlogischer Handlungsstränge, Scriptfehlern oder einer fehlenden philosophischen Tiefe des Plot. Mit etwas Glück kann man dabei auch andere Twitter-User auf mangelnde Rechtschreibung oder fehlende Gendergaps hinweisen.

Kritik ist bei diesen Meinungsfaschisten nicht möglich. Wie sollte man auch Argumente in den auf 140-Zeichen begrenzten Nachrichten auf Twitter transportieren? Wer diskutieren will, rottet sich in möglichst wirklichkeitsfremden und theoretisch-opportunistischen Parteien zusammen. Die Piraten zum Beispiel! (Karrieristen aus gutem Elternhaus sollten sich den freien Demokraten anschließen.)

Politische Aktivität dieser Generation sollte man dabei tunlichst nicht mit einem romantischen Gedanken an die Anfänge unserer Demokratie verwechseln. Es gibt keine Meinung, die man nicht mit einem Shitstorm in das digitale Nirvana befördern könnte. Schlachtrufe wie Homophob, Islamophob, Masku-Schwein, sexistische Kackscheiße oder Nazi beenden jede Diskussion. Jede! Wer da noch mit Argumenten kommt, begeht quasi digitalen Selbstmord.

Wer wundert sich da noch über steigende GEMA-Gebühren, Gasrechnungen, beschissenes Gesundheitswesen, Abmahnanwälte, mit Nutella geteerte Bundesstraßen und völlig wirklichkeitsfremde Politik – vom Berliner Flughafen mal ganz zu schweigen. Ist es doch die Generation unserer Kinder, die da nun in den Führungsetagen, Ingenieurbüros und Behörden sitzt. Kurz: Leute, die als Kind zum Scheißen zu blöd waren, dafür aber ein fettes Lob für die 3+ in Kunst kassierten.

Wir haben es sträflich versäumt, unseren Kindern das „Bitte“ und „Danke“ zu vermitteln. Wir haben ihnen nicht beigebracht, wie man mit Kritik umgeht oder eine konstruktive Diskussion führt. Nostra culpa!

Das sprichwörtliche Kind ist in den Brunnen gefallen. Es ist zu spät. Man mag sich ärgern, den Kopf schütteln oder leise weinen… »paar auf’s Maul« ist ja leider keine Option.

von
Michael Schwarz – 20.09.2016