Morddrohungen gegen Autorin Lamya Kaddor – „Die Menschen sind vollkommen enthemmt“
Die muslimische Autorin und Religionspädagogin Lamya Kaddor hat sich aus Sicherheitsgründen vom Schuldienst beurlauben lassen. Sie sagte im DLF, seit dem Erscheinen ihres Buches „Zum Töten bereit“, das sich unter anderem auch mit der Integration von Flüchtlingen und Einwanderung beschäftigt, habe sie Morddrohungen und so viele Hassbriefe wie noch nie erhalten – vor allem aus rechten Kreisen.
Sie sei zwar seit einigen Jahren daran gewöhnt, Hassmails zu erhalten. Aber seit dem Erscheinen ihres Buches gebe es „anscheinend kein Halten mehr“. Es sei ziemlich offensichtlich, dass es sich dabei um Menschen aus dem rechten Spektrum handle. Wenn sie in ihrem Buch zum Beispiel fordere, dass Deutsche eine Bringschuld bei der Integration hätten, werde sie als Muslimin gesehen, die sich anpassen müsse. Kaddor ist in Deutschland geboren und hat syrische Wurzeln.
Kaddor: Renommierte Journalisten wie Henryk M. Broder beteiligten sich daran, Stimmung gegen sie zu machen, sagte Kaddor. Viele der Hassmails bezögen sich auf ihn. Die Menschen seien in der aktuellen Debatte „vollkommen enthemmt“ und glaubten, dass sie alles sagen dürften – unter anderem, dass Kaddor „vergast werden soll“ oder dass man sie „nachts abholen“ werde.
Lamya Kaddor, die an einer Hauptschule in Dinslaken Islamkunde unterrichtet, kritisierte außerdem die Sicherheitsbehörden. Drohungen von Rechten würden oft mit dem Verweis auf Meinungsfreiheit heruntergespielt. Drohungen von Islamisten, denen sie auch bereits ausgesetzt war, würden hingegen ernst genommen. In früheren Publikationen hatte Kaddor sich mit dem Islamismus auseinandergesetzt.
Ihr gehe es nicht darum zu sagen, was mit ihr passiere, sondern was in der Gesellschaft passiere. Es gebe rassistische Netzwerke, die versuchten, Menschen zu verunglimpfen – ob sie nun muslimische, russische oder jüdische Hintergründe hätten.
Das Interview in voller Länge:
Tobias Armbrüster: Die Lehrerin und Buchautorin Lamya Kaddor hat sich einen Namen gemacht in Deutschland als Islam-Expertin und als Vermittlerin in einer Islam-Debatte, die bei uns immer hitziger geführt wird. Sie gilt als eins der Gesichter eines liberalen modernen Islam, aber sie bekommt seit Wochen Mengen von Hass-E-Mails und sogar Morddrohungen. Gestern hat sie sich deshalb vom Schuldienst beurlauben lassen, sie hat das auf Facebook öffentlich gemacht. Wir wollen das jetzt etwas genauer besprechen. Schönen guten Morgen, Frau Kaddor.
Lamya Kaddor: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Frau Kaddor, was genau ist da bei Ihnen passiert in den letzten Wochen?
Kaddor: Es ist ja schon länger abzusehen gewesen beziehungsweise es ist auch schon länger so, dass ich seit wirklich gefühlt bestimmt drei, vier, fünf Jahren diese Art von E-Mails bekomme, die wirklich voll von Hass sind. Geballt und Massiv ist das ungefähr seit einer Woche geworden, seitdem das Buch quasi erschienen ist und die ersten Vorabdrucke. Seitdem gibt es bei bestimmten Menschen in unserem Land scheinbar gar kein Halten mehr, überhaupt nicht.
Armbrüster: Aus welcher Ecke kommen diese Hass-E-Mails?
Kaddor: Ich kann nicht sagen, dass das Rechtsextreme sind. Da würde ich ja selbst drüber spekulieren. Aber es ist schon ziemlich offensichtlich, dass das eher Menschen sind, die rechten Kreisen zuzuordnen sind.
Armbrüster: Und was genau schreiben die Ihnen?
Kaddor: Ich bekomme eine Hasswelle zu spüren, wie ich es wage, als Ausländerin meinen Mund aufzumachen. In der Regel das, was in diesen verkürzten Vorabdrucken dann leider doch verkürzt sozusagen wiedergegeben wird. Wenn ich beispielsweise fordere, dass auch die Mehrheitsgesellschaft, auch wir Deutschen, wenn wir ein Einwanderungsland sind, auch eine Bringschuld haben für die Integration von Menschen, dann gehen die schon alle auf die Barrikaden, wie ich mich denn trauen würde, von Bringschuld zu sprechen. „Wir Muslime!“ – dann werde ich nur noch als Muslimin gesehen. Dann kommt wieder diese Debatte hoch oder dieser Diskurs, wir Muslime müssten uns hier anpassen, da ist überhaupt nicht von Bringschuld die Rede.
Oder wenn ich sage, wir müssen über ein neues deutsches Wir verhandeln und am besten mit allen Bevölkerungsgruppen und selbstverständlich auch mit der Mehrheit – das ist ja klar – dann bekomme ich eine Hasswelle zu spüren, wie ich es wage, als Ausländerin meinen Mund aufzumachen und den Deutschen diktieren wollen würde, welche Identität die hier sich zuzuschreiben hätten. Erstens habe ich das nie gesagt und wenn man das einmal lesen würde, dieses Buch, dann würde man auch, glaube ich, schnell merken, dass ich da sehr viel differenzierter herangehe. Aber es sind immer diese platten Dinge, die verkürzten Darstellungen, die man nutzt, um noch mehr Stimmung zu machen.
Was übel als eine Sache noch dazukommt ist, dass Intellektuelle in unserem Land, auch angesehene Journalisten, beispielsweise Henryk M. Broder – ich nenne ihn jetzt mal – mit dafür sorgen, dass die Stimmung weiter aufgeheizt wird, auch gegen meine Person. Ich sehe das daran, dass ich inzwischen auch Massen von E-Mails bekomme, die alle auf diesen Mann, auch auf seine Texte verlinken und mir natürlich deshalb auch klar wird, woher denn das Ganze kommt.
Armbrüster: Sie haben jetzt schon am Anfang gesagt, diese Ablehnung, solche E-Mails bekommen Sie seit Jahren. Aber da hat sich in den letzten Wochen etwas gehäuft. Liegt das jetzt wirklich nur an Ihrem aktuellen Buch, in dem Sie sich ja mit Fremdenhass in Deutschland auseinandersetzen, oder sehen Sie da noch eine andere Entwicklung in Deutschland?
Kaddor: Die Menschen sind völlig enthemmt. – Das hat natürlich eine lange Genese. Ich habe 15 Jahre lang, wenn ich das so sagen darf, auf die muslimische Community geguckt, vieles kritisiert. Ich habe auch nicht zuletzt deshalb den Liberal-Islamischen Bund mitbegründet, um dem Islam auch mal ein anderes Gesicht zu verleihen, um dieses Spektrum des Islams auch mal aufzeigen zu können. Es ist nicht so, dass ich nicht schon längst in die Minderheit geguckt habe und da auch kritisiert habe. Aber ich wage es, nun einmal nach 15 Jahren meinen Blick mal auf die andere Seite zu werfen und zu sagen, da gibt es auf der Mehrheitsseite ebenfalls Defizite. Das heißt, es ist ein Prozess, und ich muss sagen, die Stimmung, die wir im Moment haben, das politische Framing, dass die AfD so viel Zulauf erhält, dass Pegida – das war ja letztes Jahr, vorletztes Jahr so aktuell – das passt natürlich ganz gut. Es ist von einer Art Enthemmung zu sprechen. Die Menschen sind völlig enthemmt. Die meinen, wir leben in einem Rechtsstaat, unsere Meinung ist natürlich gesichert durch die Meinungsfreiheit. Das ist auch gut so, wenn ich das mal so sagen darf. Aber die glauben deshalb, dass sie alles schreiben dürfen und auch alles sagen dürfen, dass ich vergast werden soll, was man mit mir sonst alles zu tun haben muss, dass man mich demnächst irgendwo nachts abholen wird. Das sind ja Dinge, die nicht mehr so witzig sind. Vor allen Dingen: Sie werden mit Klarnamen geschrieben. Es sind Menschen, die schreiben ihren Namen da unten drunter, ihren echten Namen.
Armbrüster: Was ist denn Ihr Eindruck? Bekommen Sie, wenn Sie von solchen E-Mails überschüttet werden und wenn Sie das so schildern, was Ihnen da an Hass entgegenschlägt, Hilfe, Unterstützung, zum Beispiel aus der Politik?
Kaddor: Aus der Politik schon. Gestern habe ich einige Rückmeldungen tatsächlich daraufhin bekommen. Ich fühle mich auch halbwegs geschützt. Aber ich sage auch deshalb halbwegs und das möchte ich auch kritisieren, ohne jetzt in irgendwie eine Opferhaltung zu kommen, überhaupt nicht, aber es ist tatsächlich so. Ich wurde auch lange Zeit von Islamisten bedroht, aber nicht in dem Maße, das möchte ich auch hier sagen, weil mein vorheriges Buch eher die Islamisten unter die Lupe genommen hat. Da hat die Polizei und unser Sicherheitsapparat das doch ein bisschen ernster genommen.
Wenn ich das jetzt sage – und ich sitze regelmäßig inzwischen und telefoniere auch regelmäßig mit unserem Staatsschutz – dann wird das so, ich will nicht sagen, nicht ernst genommen. Es wird schon ernst genommen, aber es wird nicht so ernst genommen, wie ich es gerne hätte. Weil ich glaube, man versteht diese Prozesse und diese Entwicklungen innerhalb unserer Gesellschaft nicht. – Mir geht es ja gar nicht darum zu sagen, guckt mal, was mit mir passiert, sondern guckt mal, was im Moment überhaupt passiert, und ich bin nur ein Beispiel davon.
Armbrüster: Das heißt, wenn ich das mal so zusammenfassen kann: Sie sagen, der Terror, die Bedrohungen, die von Islamisten ausgehen, die werden ernster genommen als der Terror von rechts?
Kaddor: Ja, leider schon. Das ist im Moment meine subjektive Wahrnehmung. Die ist natürlich subjektiv, aber das ist das, was ich Ihnen mit der Beschäftigung mit beiden Rändern sozusagen durchaus sagen kann. Wenn ich sage, ich rede von Islamisten aus Dinslaken und so weiter, dann weiß jeder ungefähr, wovon ich spreche. Das wird ernst genommen. Es werden Sachen geschrieben, der Polizeischutz wird angeordnet und so weiter. Wenn ich jetzt sage, ich werde da von rechts dauernd attackiert, von Intellektuellen in diesem Land, die auch noch meinen, dass das witzig ist und dass man ruhig weitermachen kann mit dieser Stimmungsmache, dann heißt es, das ist Meinungsfreiheit, Frau Kaddor, die Meinungsfreiheit ist doch abgedeckt hier in Deutschland. – Ja, das stimmt, aber man sieht irgendwie nicht, dass das immer schlimmer wird. Es wird dann beispielsweise auf eine Hass-Mail, die ich vorgestern bekommen habe, die übrigens mit „Heil Hitler!“ begann, gesagt, na ja, wir haben den Mann tatsächlich ausfindig gemacht, was schon mal sehr gut. Eine Anzeige ist geschrieben, die Staatsanwaltschaft ist eingeschaltet. Aber es wird gleichzeitig gesagt, wir haben den Mann gesprochen, der war total betrunken. – Aber was will man mir denn damit sagen? Wenn man betrunken ist, ach so, dann darf man so was sagen, oder dann wird man nicht mehr so ernst genommen. – Das sind so Dinge, die lassen einen… Da bin ich natürlich sensibel, klar, wenn es einen selbst betrifft. Aber das hört man dann in dem Moment, ehrlich gesagt, nicht so gerne.
Armbrüster: Was würden Sie denn sich wünschen? Was müsste passieren in Deutschland, damit so was nicht mehr passiert?
Kaddor: Dass darüber offen kommuniziert wird, dass Teile unserer Bevölkerung, natürlich nicht wir alle als Deutsche, selbstverständlich nicht, dass Teile unserer Bevölkerung ein großes Problem mit Rassismus haben. Und das betrifft nicht nur Muslime. Ich kriege so viele Zuschriften inzwischen von Menschen deutsch-russischer Herkunft, polnischer Herkunft, jüdischer Religionszugehörigkeit. Menschen, die alle für Pluralismus einstehen, bekommen geballten Hass. Das sind ja nicht nur Einzelpersonen; ich nenne das auch im Buch organisierten Hass. Das sind Netzwerke sozusagen, die einen wirklich heimsuchen, die sich untereinander abstimmen und dann zentral und koordiniert sozusagen Menschen belästigen, verunglimpfen, versuchen, Angst zu machen, einschüchtern. Darüber versuche ich aufzuklären.
Armbrüster: Die Lehrerin und Buchautorin Lamya Kaddor war das. Sie hat sich einen Namen gemacht als liberale Muslima in der deutschen Islam-Debatte. Aber wegen einer Menge, wegen einer Flut an Hass-Mails hat sie gestern ihren Schuldienst nicht quittiert, aber sich zumindest beurlauben lassen. Wir haben mit ihr darüber gesprochen. – Vielen Dank, Frau Kaddor, dass Sie sich Zeit genommen haben an diesem Donnerstagmorgen. Danke schön!
von
Günter Schwarz – 01.10.2016