Immer mehr Schüler machen ihr Abitur. Doch die positiven Zahlen täuschen. Viele Hochschullehrer halten wenig bis gar nichts von den Fähigkeiten ihrer Studienanfänger. Knapp jeder dritte ist nicht studierfähig.

Auf den ersten Blick sieht es richtig gut aus im Bildungsland Deutschland. Ungebrochen ist der Trend zum Erwerb der Fachhochschul- und der allgemeinen Hochschulreife. Über die Hälfte der Schulabgänger haben eine Studienberechtigung. Das einst elitäre Gymnasium ist zur beliebtesten Schulform avanciert. Und die Jugendarbeitslosigkeit liegt mit sieben Prozent auf einem erfreulich niedrigen Niveau. Doch die positiven Zahlen täuschen.

Viele Dozenten und Hochschullehrer halten wenig bis gar nichts von den Fähigkeiten ihrer Studienanfänger. Knapp jeder dritte sei nach ihrer Meinung nicht studierfähig. Das ist das niederschmetternde Ergebnis mehrerer Studien.

Trotz gestiegener guter Schulabschlüsse steigt die Anzahl der jungen Menschen, die gleich zu Beginn einer Berufsqualifikation in Unternehmen oder Hörsälen mit fehlenden Grundlagenkompetenzen hinsichtlich Sprache und Mathematik zu kämpfen haben. Diese „Hardskills“ gelten immer weniger als Elementartechniken in der schulischen Bildung, heißt es in der jüngsten Untersuchung zur „Ausbildungsreife und Studierfähigkeit“ der Konrad Adenauer Stiftung. Universitäten und Ausbildungsbetriebe haben mittlerweile darauf reagiert. Eine steigende Zahl von Betrieben und immer mehr Hochschulen bessern mangelnde schulische Grundlagen nach.

Grenzen der Intelligenz

Gerhard Wolf, Professor für Ältere Deutsche Philologie an der Uni Bayreuth, sieht den Grund dieser Entwicklung in den Veränderungen, die das deutsche Schulsystem in den vergangenen 20 Jahren durchgemacht hat. Bis zu einem gewissen Grad sei „Studierfähigkeit“ zwar erlernbar, sagte er im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk. „Allerdings findet die Erlernbarkeit von Studierfähigkeit ihre Grenze an der Intelligenz. Ich formulier es jetzt mal etwas krass: Sie werden jemanden mit einem IQ von 70 nicht studierfähig bekommen.“

Den Kompetenzverlust erklärte Wolf dem „Spiegel“ so: „Die Studenten kommunizieren auf eine Art, die dem sorgfältigen Lesen und Schreiben im Wege steht. Damit meine ich vor allem Kurznachrichten per SMS und Twitter. Die können sich kaum noch längere Zeit auf eine Sache konzentrieren. Ihr Manko ist ihnen zwar bewusst, trotzdem scheint sie unser Anspruch an Sorgfalt zu nerven.“

Viele Schüler kämen heute zu einem Abitur, die das früher nicht geschafft hätten. Ein wachsender Teil bringe schlicht die Kompetenzen nicht mit, die ihnen in den Zeugnissen attestiert würden, stellt die Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung fest. Deshalb seien die Universitäten „zunehmend mit Studienanfängern konfrontiert, die ihre Begabungen offenbar auf ganz anderen Feldern als in der Wissenschaft haben“. Es existiere eine wachsende Gruppe von Studierenden, die den Anforderungen des gewählten Studiengangs intellektuell und von seinen fachlichen Voraussetzungen her nicht gewachsen seien, monieren die Experten.

„Kultur des Durchwinkens“

Doch nicht nur der starke Zulauf zu den Gymnasien habe die Standards absinken lassen. Problematisch sei auch, dass nicht mehr der Fachunterricht die Lehrpläne dominiere, sondern das neue Leitbild des „kompetenzorientierten Unterrichts“. Komme die fachliche Bildung jedoch zu kurz, flüchteten sich die Schüler in die Geschwätzigkeit, monieren die Experten. Im gesamten Bildungssystem habe sich eine „Kultur des Durchwinkens“ von der Grundschule über das Gymnasium bis zur Universität etabliert.

Die Gesellschaft und in der Bildungspolitik müssen sich darüber klar werden, ob wirklich so hohe Abiturquoten gebraucht werden, so Wolf. „Die Lehrer an den Schulen sehen ja, ob ein Schüler für eine Hochschule geeignet ist oder nicht. Es ist die Aufgabe der Lehrer, den betreffenden Schülern dann auch nahe zu legen, vielleicht doch den Weg einer dualen Ausbildung einzuschlagen, anstatt studieren zu gehen.“

von

Günter Schwarz – 02.10.2016