So eine Einheitsfeier hat Deutschland noch nicht erlebt! Der Frau des Wirtschaftsministers kamen vor der Semperoper die Tränen. „Haut ab!“ wütete der Mob. Pegida-Chef Bachmann sonnte sich genüsslich im Hass und Sachsens Regierung fand deutliche Worte für ihr „Volk“.

Die Stadt Dresden verwandelte sich an diesem düsteren Montag, dem „Tag der deutschen Einheit“, zeitweilig in einen Hexenkessel. Vor der Kulisse der berühmten Semperoper hatten sich im strömenden Regen Tausende Menschen versammelt. Unter ihnen hunderte rechte Demonstranten, vor allem Anhänger des fremdenfeindlichen Pegida-Bündnisses, die hasserfüllt Parolen brüllten.

Drinnen im Gebäude, wo wenig später der zentrale Festakt zum Tag der deutschen Einheit stattfand, bemühte sich Kanzlerin Angela Merkel um Sachlichkeit. „Für mich und die allermeisten Menschen ist dies nach wie vor ein Tag der Freude“, betonte Merkel vor Journalisten. 26 Jahre nach der Wiedervereinigung sehe sie aber, dass „neue Arbeit, neue Probleme auf uns warten. Und ich persönlich wünsche mir, dass wir diese Probleme gemeinsam, in gegenseitigem Respekt, in der Akzeptanz sehr unterschiedlicher politischer Meinungen lösen“.

Bachmann sonnte sich im Hass

Doch von gegenseitigem Respekt war an diesem Tag in Dresden wenig zu spüren. „Volksverräter“ und „Merkel muss weg“, schall es der Kanzlerin entgegen, als sie am Morgen in der sächsischen Landeshauptstadt eintraf. Dann erhob sich ein ohrenbetäubendes Trillerpfeifen-Konzert. „Merkel nach Sibirien, Putin nach Berlin“, skandierte der Mob.

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Für die zum Gottesdienst geladenen Gäste, darunter Bundespräsident Joachim Gauck, wurde der Weg in die Frauenkirche zum Spießrutenlauf. „Haut ab, haut ab“ – die Stimmung war aggressiv. Pegida-Chef Lutz Bachmann sonnte sich im Hass seiner Anhänger.

Die Frau des stellvertretenden sächsischen Ministerpräsidenten Martin Dulig ging am Arm ihres Mannes zur Kirche. Auch sie wurden aufs Übelste beschimpft. Während der SPD-Mann mit steinerner Miene und bemüht erhobenem Kopf an den Pöblern vorbeizugehen, kamen seiner Frau die Tränen. Ein Schwarzer, der am Gottesdienst teilnehmen wollte, wurd mit Affengeräuschen und „Abschieben!“-Rufen empfangen.

„Wir sind das Volk“, behauptet die Menge.

„Wir sind traurig und beschämt über die Respektlosigkeit und den Hass der Pöbler bei den bisher friedlichen Feierlichkeiten“, twitterte die sächsische Staatsregierung. „Beschämt erleben wir, dass Worte die Lunte legen können für Hass und Gewalt“, sagte Regierungschef und Bundesratspräsident Stanislaw Tillich später beim Festakt. „Das ist menschenverachtend und zutiefst unpatriotisch. Dem stellen wir uns alle entgegen.“

Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert wendete sich in seiner Festrede direkt an die Demonstranten: „Diejenigen, die heute besonders laut pfeifen und schreien und ihre erstaunliche Empörung kostenlos zu Markte tragen, die haben offenkundig das geringste Erinnerungsvermögen daran, in welcher Verfassung sich diese Stadt und dieses Land befunden haben, bevor die deutsche Einheit möglich wurde“, sagte er unter dem Applaus der geladenen Gäste.

Viel Beifall für Lammerts „Bewerbungsrede“

Dann forderte er mehr Selbstbewusstsein, mehr Optimismus, mehr Zuversicht – in einem Land, das in einer internationalen Umfrage als „bestes Land“ bewertet wurde. Im virtuellen „Glücksatlas“ des Gallup-Instituts hätten sich die Deutschen selbst dagegen zuletzt auf Rang 46 eingeordnet – zwischen dem Senegal und Kenia, moniert Lammert. Deutschland könne sich „durchaus eine kleine Dosis Zufriedenheit“ erlauben – „wenn nicht gar ein Glücksgefühl“.

Lammert erntete viel Beifall für seine Ansprache, die ein wenig an die berühmte Ruck-Rede („Durch Deutschland muss ein Ruck gehen“) des Bundespräsidenten Roman Herzog aus dem Jahr 1997 erinnerte – und die durchaus als Bewerbungsrede für das höchste Amt im Staate verstanden werden konnte. Doch nach solchen Überlegungen stand vielen an diesem Tage wohl nicht der Sinn.

Merkel traf Imam – Pegida marschierte

Merkel mied in Dresden zunächst den direkten Kontakt zu den Bürgern. Weitläufig abgeschirmt fuhr sie nach dem Gottesdienst in der Frauenkirche mit dem Wagen zur Semperoper.

Nach dem Festakt setzte die Kanzlerin dann noch ein besonderes Zeichen. Sie sprach mit der Familie des Imams, auf dessen Moschee vor einer Woche ein Sprengstoffanschlag verübt wurden. Konkrete Hinweise auf die Täter gibt es immer noch nicht.

Zeitgleich setzten auch die Pegida-Anhänger ein Zeichen. Sie versammelten sich zu Tausenden in der Nähe des Hauptbahnhofs, unter ihnen erkennbar zahlreiche Neonazis. Anders als üblich verlas nicht der Veranstalter, sondern ein Polizist die Versammlungsauflagen. Die Lautsprecheranlage von Pegida sei defekt, sagte der Beamte und betonte, er mache das „gerne“. Die Menge dankte ihm mit Applaus und skandierte: „Eins, zwei, drei, danke Polizei!“

von

Günter Schwarz – 03.10.2016