Vor Beginn seiner Jahrestagung in Washington warnt der Internationale Währungsfonds, dass der globalisierungskritische Populismus eine Gefahr für die Weltwirtschaft sei. „Es ist kein Zufall“, sagt der Ökonom Branko Milanovic, „dass der Populismus ausgerechnet in reichen Ländern wächst.“


Waren aus aller Welt für alle Welt: «Die Globalisierung kann nicht umgekehrt werden», sagt Ökonom Milanovic. (Foto: Keystone)
„Schauen sie, was in den letzten 25 Jahren in fast allen westlichen Industrieländern passiert ist?“ fragt Branko Milanovic. Der Anteil der Mittelklasse an der Gesellschaft ist geschrumpft. „Nehmen sie das Beispiel USA“, sagt der serbischstämmige Ökonom, der lange für die Weltbank gearbeitet hat. „Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre gehörte ein Drittel der Bevölkerung zur Mittelklasse. Heute ist es nur noch ein Viertel. Einige wenige haben den Aufstieg nach oben geschafft, die meisten aber sind abgestiegen.“

Die Reichen dagegen hätten noch mehr Reichtum angehäuft. Das reichste Prozent der Bevölkerung bezog Mitte der siebziger Jahre noch acht Prozent des US-Nationaleinkommens, heute seien es 20 Prozent, sagt der renommierte Ungleichheitsforscher.

Globalisierungskritische Populisten haben Aufwind

Der wirtschaftliche Niedergang der Mittelklasse und die wachsende Ungleichheit in fast allen westlichen Ländern seien ganz sicher mitverantwortlich dafür, dass in Ländern wie den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und gar Dänemark die globalisierungskritischen Populisten um Donald Trump, Marine Le Pen, Frauke Petry und Kristian Thulesen Dahl immer mehr Anhänger gewännen, sagt Milanovic. Viele Leute machten die Globalisierung für ihren Abstieg verantwortlich. Und sie lägen damit wohl nicht ganz falsch. Aber als alleinige Begründung reiche das nicht aus.

Für die wachsende Ungleichheit in Industrieländern machten die meisten Ökonomen drei voneinander unterschiedliche Entwicklungen verantwortlich, sagt Milanovic. Erstens trage die Globalisierung einen Teil dazu bei, mit wachsender Konkurrenz aus Asien. Zweitens sei es der technologische Fortschritt, der Leute mit niedriger Bildung am Arbeitsmarkt benachteilige, und drittens komme die Deregulierung dazu. In Zeiten globaler Märkte trauten sich viele Staaten nicht mehr, Erbschaften und Vermögen stärker zu besteuern. Dies geschehe aus Angst, das Kapital werde sonst abgezogen. Auch das ist eine Folge der Globalisierung.

Den Eindruck, dass Ungleichheit permanent ansteige, weist der Forscher aber zurück. Sie verlaufe eher in Wellen. In Großbritannien beispielsweise habe diese Entwicklung schon in den 80er Jahren begonnen, mit der neoliberalen Politik unter Margaret Thatcher. Wachsende Ungleichheit sei auch nicht allein für den Aufstieg der Populisten verantwortlich. Wenn man sich das Brexit-Votum anschaue, stelle man fest, dass eher die ungebildeten, armen Schichten dafür gestimmt hätten, während die Reichen eher dagegen gestimmt hätten. Schlechte Bildung spiele also auch eine Rolle. Angst vor der Migration, die auch eine Folge der Globalisierung sei ebenfalls ein Grund.

Die Globalisierung hat China Aufschwung beschert

Andererseits betont Milanovic, dass die Globalisierung nur in reichen Industrieländer zu wachsender Ungleichheit und einer schrumpfenden Mittelklasse geführt habe. In Entwicklungsländern sei das Gegenteil der Fall. Ländern wie China habe die Globalisierung mehr Wohlstand und wachsende Einkommen beschert.

Die Globalisierung hat also einigen sehr genützt, anderen eher geschadet und zu wachsender Ungleichheit geführt. Gegensteuern könnten nur die Nationalstaaten. Milanovic empfiehlt vor allem zwei Gegenmittel gegen Ungleichheit. Sein Ratschlag Nummer eins lautet, dass die breite Bevölkerung mehr Zugriff auf Finanzkapital bekommen müsse. Sie sollte mehr Aktien besitzen, um Kapital mehren zu können. Zweitens brauche es einen besseren Zugang zu Ausbildung und guten Schulen für alle. Nur dann hätten viele eine Chance, später mehr Geld zu verdienen und der Ungleichheit entkommen.

Das Rad der Globalisierung zurückzudrehen, sei dagegen keine gute Idee, meint der Ökonom. Grundsätzlich sei Handel eine gute Sache. Er müsse aber so gesteuert werden, dass die Nachteile für bestimmte Gruppen möglichst klein gehalten würden.

von

Günter Schwarz – 07.10.2016