Minderheiten klagen in Luxemburg vor Gericht
(Luxemburg) Mit viel Euphorie startete vor einigen Jahren die europäische Bürgerinitiative , die mit dem Sammeln von einer Million Unterschriften – so der Plan –die Zivilgesellschaft in Europa die Möglichkeit eröffnen möchte, direkt auf die Inhalte der EU-Zusammenarbeit Einfluss zu nehmen. In der Theorie ist das ein schöner Gedanke, in der Praxis jedoch erweist sich das Instrument immer mehr als ein Feigenblatt der Mächtigen. Mit der Bürgerbeteiligung meint man es nicht ernst. Weder in den politischen Machtzentren der EU-Mitgliedstaaten, noch bei der EU-Kommission in Brüssel.
Derzeit wird – mit den europäischen Minderheiten im Mittelpunkt – ein Versuch gefochten, die Idee der zivilgesellschaftlichen, verbrieften Mitsprache am Entscheidungsprozess in Luxemburg vor
dem Europäischen Gerichtshof (EUGH) zu erzwingen. In der vergangenen Woche fand eine mündliche Verhandlung in Luxemburg statt.
Die Minderheiten in Europa waren von Anfang an von dem Gedanken der Bürgerinitiative begeistert. Nach zweijähriger Vorbereitungszeit, mit Unterstützung von namhaften EU-Experten und hochrangigen Politikern sowie Vertretern der Minderheiten Europas, wurde eine Minderheiten-Bürgerinitiative eingereicht. Ziel war es, die Rechte der autochthonen (alteingesessenen) Minderheiten zu stärken und der drohenden Assimilierung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt entgegenzutreten. Eine Koalition von der Bretagne über die Lausitz bis Oberschlesien ,von Norddschleswig bis Südtirol und von Transsylvanien bis Kärnten und nach Westthrakien in Griechenland (um nur einige beteiligte Regionen zu nennen) wurde gebildet. Am 26. September 2013 sollte es am Europäischen Tag der Sprachen in Brüssel losgehen: „Du bist nicht allein. Eine Million Unterschriften für die Vielfalt Europas“, lautet das Motto der Kampagne.
Doch die EU-Kommission hielt nichts von den konkreten Vorschlägen. Die Bürgerinitiative wurde abgelehnt, bevor sie überhaupt an den Start gehen konnte. Gegen die arrogante, schlecht begründete Ablehnung durch die EU-Kommission wurde Klage eingereicht. Nun, drei Jahre später, ist jetzt der Europäische Gerichtshof in Luxemburg die letzte Anlaufstelle.
FUEV-Präsident Loránt Vincze ist nach der mündlichen Anhörung zufrieden. Die Kommission war deutlich in der Defensive und musste sich viele kritische Fragen der drei Richter gefallen lassen. Nun werden wohl sehr wahrscheinlich erneut einige Monate ins Land ziehen, bis mit einer richterlichen Entscheidung zu rechnen ist.
Doch bereits jetzt bleibt festzuhalten, dass die ganze Angelegenheit ein Armutszeugnis für die Europäische Union ist, die im Artikel zwei ihres „Vertrags von Lissabon“ die Minderheiten als „fundamentale Werte“ festschreibt. Dass sich die Minderheiten in einem juristisch-
formalistischen Streit mit der EU-Kommission über die Weiterentwicklung der Minderheitenrechte vor Gericht auseinandersetzen müssen, zeigt, wie es um die Gewichtung dieses
Politikbereiches bestellt ist.
Der Ursprungsgedanke der Bürgerinitiative, den Bürgern Einflussnahme auf Augenhöhe zuzugestehen, wird ad absurdum geführt. Bürgernähe geht anders. Die EU schafft es vielmehr, die bislang durchweg EU-freundlichen Minderheiten in Europa vor den Kopf zu stoßen.
Dem FUEV-Präsident Loránt Vincze ist natürlich bewusst, dass ein juristischer Sieg nicht viel bedeutet, falls es den Minderheiten nicht gelingt, politisch für ihre Sache zu werben. Die Entscheidung, ob Minderheiten in Europa mehr Einfluss bekommen, wird letztendlich in der politischen Auseinandersetzung getroffen, nicht im Gerichtssaal. Die Richter in Luxemburg könnten aber noch einmal richtig Schwung in die Debatte bringen, wenn die Minderheiten es verstehen, dieses clever – politisch und mit geschickter Interessenvertretung – einzubringen.
Wir sollten alle die Daumen drücken, dass die Richter in Luxemburg die EU-Kommission in Brüssel in die Schranken weist und die dänische Minderheit südlich der Landegrenze zu Dänemark wie auch die deutsche Minderheit nördlich davon ernst genommen und nicht länger nur zum Thema von „Schönwetterrednern“ aus der „großen Politik“ herhalten müssen.
von
Günter Schwarz – 09.10.2016