(Port-au-Prince) Angesichts Hunderter Opfer durch Hurrikan „Matthew“ ist in Haiti dreitägige Staatstrauer angeordnet worden. „Die Trauertage werden angesetzt, um das Land im Schmerz mit den Eltern und Freunden der Toten zu vereinen“, teilte das Präsidialamt gestern mit. Die Staatstrauer sollte seit heute gelten. Diskotheken und ähnliche Lokale sollten geschlossen bleiben und Flaggen auf halbmast gesetzt werden.

Zuvor hatte der Zivilschutz offiziell mitgeteilt, durch den schweren Wirbelsturm seien 336 Menschen ums Leben gekommen. Vier Menschen wurden laut Angaben vermisst und 211 weitere verletzt. Mehr als 60.000 Menschen suchten Schutz in Notunterkünften. In verschiedenen Medien war zuletzt von bis zu 900 Todesopfern die Rede gewesen. Rettungskräfte in Haiti sagten gestern, sie rechneten damit, dass die Zahl der Toten noch steigen werde. Der Zivilschutz hat seit Donnerstag keine offiziellen Zahlen mehr veröffentlicht.

Furcht vor Choleraepidemie

Die Angst vor einem Seuchenausbruch wächst. Laut offiziellen Angaben starben bereits 13 Menschen an der Cholera, Dutzende weitere sind im Spital. Ein großflächiger Ausbruch der Krankheit wäre „die Katastrophe in der Katastrophe“, sagte Caritas-Helfer Robert Moosbrugger.

Manche Orte zu 90 Prozent zerstört

Nach Hurrikan „Matthew“ steht die Karibikinsel Haiti vor Trümmern. Die Lage ist unübersichtlich. Am Samstag schwankten die Opferzahlen zwischen 330 und 470 – zuvor war von fast 900 Toten die Rede gewesen. Die Situation in den besonders schwer getroffenen Orten ist jedenfalls katstrophal.

Zehntausende haben keinen Zugang zu reinem Wasser, was Gefahr für einen massiven Anstieg der Choleraerkrankungen birgt. Laut offiziellen Angaben von Samstagabend starben 13 Menschen an der Krankheit, deren Ursache vor allem verunreinigtes Trinkwasser und infizierte Nahrung sind. Es könnte aber bereits wesentlich mehr Opfer geben.

Dutzende in Spitälern

Dutzende Menschen befinden sich in Spitälern. Die Krankheit kann unbehandelt binnen Stunden tödlich verlaufen. Man sei „besorgt“ über die Choleraerkrankungen, so Donald Francois vom haitianischen Gesundheitsministerium. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen schickte Teams via Helikopter in den Süden, um der Krankheit entgegenzutreten.


Die Vermischung von Grund-, Ab- und Trinkwasser erhöht das Risiko eines Ausbruchs
Bereits seit 2010 grassiert in Haiti eine Choleraepidemie. Die Krankheit, der seit 2010 auf der verarmten Karibikinsel mehr als 10.000 Menschen zum Opfer fielen, war vermutlich von Blauhelmsoldaten aus Nepal eingeschleppt worden. Heuer starben rund 240 Menschen. „Wir befürchten, dass Hurrikan ‚Matthew‘ die Situation erheblich verschlechtern und das Risiko eines größeren Ausbruchs steigern wird“, so das UNO-Büro für humanitäre Hilfe (OCHA).

Verbindungen gekappt

Der Hurrikan war mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 233 Stundenkilometern über die Insel hinweggefegt. Wie Helfer der britischen BBC am Samstag berichteten, wurden manche Orte im Süden der Insel zu 90 Prozent zerstört. Viele der besonders schwer getroffenen Orte sind noch nicht erreichbar. Die Verbindung in den Südosten des Landes ist noch gekappt, da eine wichtige Brücke weggespült wurde. Auch die Kommunikation gestaltet sich aufgrund von Strom- und Telefonausfällen schwierig. Zehntausende Menschen stehen ohne Unterkunft da.


Luftbilder zeigen das Ausmaß der Zerstörung
Haiti leidet immer noch unter den Folgen des schweren Erdbebens vor sechs Jahren mit über 200.000 Toten. Viele Menschen wohnen bis heute in Zelten und Notunterkünften. OCHA schätzt die Zahl der vom Hurrikan Betroffenen auf die Hälfte der elf Millionen Haitianer.

Wasseraufbereitung dringend notwendig

Wegen der verheerenden Lage wird auch die Caritas einen Experten aus Österreich in den Karibikstaat entsenden. Der Vorarlberger Robert Moosbrugger half bereits nach dem Erdbeben. Wichtig seien derzeit Hygienematerial und Wasseraufbereitung, so Moosbrugger. Ein Ausbruch der Cholera wäre sonst „die Katastrophe in der Katastrophe“, sagte der Experte. Die wichtigsten Hilfsgüter seien möglicherweise in Haiti oder in der angrenzenden Dominikanischen Republik verfügbar, hoffte er.


Zahlreiche Menschen stehen vor einem mühsamen Wiederaufbau
Die Schwierigkeit sei nun die Logistik der Verteilung innerhalb des Landes. „Ich vermute, dass Geld die wichtigste Ressource ist.“ Für die ersten Nothilfemaßnahmen stellte die Caritas 200.000 Euro zur Verfügung. Die Betroffenen haben ihre Häuser, Nutztiere, Ernte und vieles mehr verloren. Moosbrugger hoffte auch, bei seinem Einsatz manche Unterkünfte zumindest behelfsmäßig reparieren zu können. Neben Wellblech müsste auch Kochmaterial zur Verfügung gestellt werden. „Die Menschen können sich teilweise nicht einmal selbst ein Essen machen“, berichtete der Caritas-Helfer.

Am Samstag traf er in South Carolina direkt auf Land. Wie das Hurrikan-Zentrum in Miami mitteilte, zog das Auge des Sturmes nahe McClellanville – ungefähr 55 Kilometer von Charleston entfernt – vollständig auf die Küste. Vor dem Bundesstaat und seinem südlichen Nachbarstaat Georgia sorgte der Hurrikan laut dem Hurrikan-Zentrum NHC für Sturmfluten. Es kam zu zahlreichen Überschwemmungen.


Die EU kündigte am Freitagabend an, weitere 1,5 Millionen Euro an Nothilfe für die Opfer auf Haiti bereitzustellen
Insgesamt hinterließ „Matthew“ an der Südostküste der USA weniger Schäden als zunächst befürchtet. Zuvor war „Matthew“ knapp an Florida vorbeigeschrammt. Fünf Menschen starben nach Angaben der Behörden. Zwei Frauen wurden von umstürzenden Bäumen getroffen, eine weitere erlitt einen Herzinfarkt, ein Paar starb an Kohlenmonoxidvergiftung durch seinen Stromgenerator.

von

Günter Schwarz – 09.10.2016