US-Erziehungslager für Kinder: „Du kriegst dein Kind repariert zurück“
In den USA werden sogenannt schwierige Kinder häufig in Erziehungslager gesteckt. Viele Kinder erleben dort Grausamkeit, Vernachlässigung und Missbrauch. Der Zürcher Konfliktberater Jean-Paul Munsch spricht über die fragwürdigen Methoden der US-Camps.In diesen Camps wird den Kindern Angst eingejagt – aber Angst ist wie immer ein schlechter Ratgeber.
Die Camps bieten sehr einfache Antworten auf Fragen der Führung und der Beziehung in der Familie. Es ist sicher so, dass diese Erziehungsmethoden eine Reaktion auf ein Symptom sind, aber es wird eben auch nur das Symptom bekämpft und die Konsequenzen sind für viele dieser Kinder traumatisch. Der Machtkampf wird in den Camps wird von den sogenannte Erziehern bis zum bitteren Ende geführt, denn ganz offensichtlich gibt es viele hilflose Eltern, die ihren Kindern keine Struktur geben können oder wollen. Diese Eltern wollen nur eines: Sie wollen ihre Ruhe und Frieden zu Hause haben.
Das ist ein Bedürfnis, das durchaus seine Legitimation hat, aber leider beruht das Familienleben nicht nur auf Ruhe und Frieden. Wenn es gelingt, voneinander zu lernen, können sich alle in der Familie unter der Führung der Erwachsenen gemeinsam entwickeln. Das bedeutet, man kann im Kontakt und in der Beziehung zu den Kindern Konflikte austragen und Frustrationen und Wut aushalten.
Dieses Bedürfnis nach Ruhe soll keineswegs in Frage gestellt werden, aber es stellt sich das Problem, dass in vielen Familien lediglich versucht wird, die Kinder ruhigzustellen – meist durch Bestrafung, aber oft auch durch Verwöhnung, was beides ebenso sinnlos wie auch erfolglos ist. So erklärt sich, dass Erziehungs-Camps in den USA derart florieren und sogar zu einem Milliardengeschäft geworden sind. Die vielfältigen Gründe liegen zum einen das soziokulturelle Milieu mit Gangs in bestimmten Städten in den USA – und auch in einzelnen europäischen Städten – eine ernstzunehmende Realität ist, und es gibt zum anderen aber auch viele Kinder, die völlig ohne Führung und Strukturen aufwachsen. In vielen Fällen liegt es an den fehlenden männlichen Vorbildern? Es werden hilflosen und überforderten Eltern oft einfach nur Produkte aus der Apotheke angeboten, um Familienprobleme zu lösen, wie in einem Supermarkt.
In den meisten westeuropäischen Staaten versucht man mit (sozial-)pädagogischen Konzepten gemeinsam Lösungen zu finden, die die Kinder oder Jugendlichen mitsamt den Eltern und einem Experten einbeziehen. Für Erziehungscamps bräuchte es gesonderte Konzepte der Jugendhilfe und entsprechende Kontrollen. Und dennoch ist auch hier der „Therapiemarkt“ ein zunehmend kontrovers diskutiertes Thema. Es ist jedoch nicht sicher, ob diese Art „Therapie“ auch hier Anklang finden würde, denn bei diesen Camps werden die Kinder den Eltern weggenommen. Dieser Eingriff verschafft den Eltern zwar eine Atempause, aber ist natürlich keine Lösung. Man sagt den Eltern: Ich nehme es zu mir, repariere es und du kriegst es „geflickt“ oder „repariert“ zurück.
Wenn zu Beispiel ein kleiner Junge von seiner Mutter getrennt und in dieses „Consequence Camps“ gesteckt wird, sagt er mit ziemlicher Sicherheit nach seiner „Reparatur“ wieder zuhause, dass er später an die falschen Leute geraten wird. Und fragt man sich, warum es so sein wird, kann man nur zu der Lösung kommen, weil er sich anpassen wird. Besser kann man die Wirkung und den Lerneffekt dieser Camps nicht zusammenfassen, denn sie lehren allesamt totale Unterwerfung und Gehorsamkeit – auch den „falschen“ Leuten gegenüber. Aber will man das und ist das sinnvoll?
Die Kinder dort in diesen Camps lernen einzig und allein, dass das, was sie denken, fühlen und wahrnehmen, nichts wert ist. Sie spüren sofort, dass sie ausgeliefert sind und als Menschen nichts zählen. Die Kinder lernen so jedenfalls nicht, Verantwortung zu übernehmen – und die Erwachsenen im Übrigen auch nicht. Dazu kommt, dass die nachhaltigen Entwicklungsprozesse Zeit und Geduld brauchen.
Auf der einen Seite gibt es Drill-Erziehung, auf der anderen Seite steht die sogenannte Kuschelpädagogik. Warum wird es eigentlich oft so schwarz-weiss, wenn es um Erziehung geht? Ist das nur in der Erziehung so? Das Gehirn des Menschen mag Unterscheidungen, denn sonst würde es nichts erkennen – aber diese müssen nicht aus „entweder…oder“ bestehen. Es darf auch „sowohl… als auch“ sein.
Bis in die 50er und 60er Jahre verlangte man von den Kindern vor allem still und möglichst „unsichtbar“ zu sein. Dann kam der Aufbruch mit den 68ern, die antiautoritäre Erziehung. Diese kommt nun zum Tragen und aktuell ist teilweise ein Backlash in der Pädagogik und in der Erziehung zu beobachten. Die sogenannte Kuschelpädagogik wird vermutlich zu Recht kritisiert, denn auch sie mutet den Kindern zu viel zu: Sie müssen Entscheidungen fällen, zu denen sie nicht in der Lage sind, weil sie sie nicht erlernt haben zu entscheiden.
Die Frage der Verantwortung und der Gestaltung der Beziehung durch die Erwachsenen steht im Zentrum, und wie gelingt es den Erwachsenen sowohl die Führung zu behalten als auch in Beziehung zu dem Kind oder den Kindern zu bleiben? Wie können Erwachsene auch für ihre eigenen Bedürfnisse sorgen und sich als Menschen zeigen, ohne die Kinder zu ignorieren? Das heißt als Erwachsener: Das Kind in seinen Bedürfnissen zu sehen und zu seiner Führung zu stehen. So ist der Erwachsene eine Führungsperson für das Kind, die nicht perfekt sein muss, die aber seine eigene Würde und die des Kindes respektiert.
Konsequenz ist ein Ausdruck, der häufig vorkommt. Wer kennt das nicht? „Man müsse halt nur konsequent sein!“ Aber wie kann Konsequenz gut gelingen? Konsequenz ist ja oft ein anderes Wort für Strafe und oft heißt Konsequenz ja nur, dass der Mächtigere – also der Erwachsene – das Kind so lange ignoriert und traumatisierenden Situationen ausliefert, bis es seinen Willen aufgibt. In erster Linie ginge jedoch es darum, dass die Erwachsenen sich ernsthaft selber fragen: „Was ist mir wichtig? Was will ich, was nicht? Welche Kinder wollen wir haben, wenn sie erwachsen sind? Kann ich zu mir stehen und auch unpopuläre Entscheidungen treffen, ohne das Kind dabei zu beschuldigen, zu beschämen und zu demütigen?“
Auch die Lehrer an den Schulen tragen ihren Teil dazu bei, was aus den Kindern später wird. Doch die Lehrer haben viele Aufgaben zu erfüllen, die ihnen von der Politik, dem Lehrplan, der Arbeitsbelastung und schließlich und endlich von den Kindern vorgegeben werden.
Dabei ist der Umgang mit den Kindern tatsächlich eine große Herausforderung für die Lehrer. Vor allem fragen sich besonders junge und engagierte Lehrer immer wieder von Neuem, wie sie eine Klasse gut führen können. Viele lernen es im Laufe der Zeit und einige lernen es nicht und werden furchtbare Lehrer. Aber die Beziehungen zu den Schülern werden sowohl bei guten oder furchtbaren Lehrern schließlich gut genug, dass sie zusammen einen Weg oder zu eine gemeinsamen Ebene finden können. Oft helfen die Kinder und Jugendlichen den Lehrern sogar, die Rolle als Führungsperson zu übernehmen. Zudem gibt es für Lehrer Angebote, sich weiterzubilden, um Antworten auf Fragen zu finden, die auch ihnen oft fremd sind So gestaltet heute die Schule mit, die die Entwicklung von Menschen besser unterstützen und die Kinder stark machen.
Auf alle Fälle ist Beziehung das Schlüsselwort. Beziehung ist für der Schlüssel in der Führung sowohl im Elternhaus als auch in der Schule. Das zeigt auch die neurowissenschaftliche Forschung. Denn gute Beziehungen sind für die Entwicklung von Kindern ganz entscheidend, da Empathie, Kreativität und Frustrationstoleranz die Kinder nur durch Erwachsene lernen, die sich als Person in der Beziehung sichtbar machen, mit den Kindern in Kontakt treten, und trotzdem die Führung behalten.
Bei der Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern ist eines absolut klar, die Verantwortung für die Qualität und die Führung müssen die Erwachsenen übernehmen. Die Kinder können das nicht. Kinder haben zwar oft viel Weisheit, aber es fehlt ihnen die Erfahrung, wie man eine Beziehung gestaltet und jemanden in eine Kultur einführt. Die Kinder geben den Erwachsenen jedoch klare Signale. Diese sind leider nicht immer so, wie man das gerne hätten, nicht immer so höflich. Oft wird seitens der Erwachsenen zu viel Wert auf die Form legen und dabei übersehen, was das Kind eigentlich mitteilen will. Man kann dann immer noch nachschieben, dass man nicht will, dass das Kind so mit jemandem spricht.
Ein Lehrer sollte besonders auf eine gute Lernatmosphäre achten, in der jedes Kind seinen Platz findet, und er muss klar führen und schnell auf Signale reagieren und das gerade bei stilleren Kindern oder jenen, bei denen vermutet werden kann, dass sie gemobbt werden.
von
Günter Schwarz – 17.10.2016