(Budapest) – Ungarn gedachte am Sonntag des anti-sowjetischen Volksaufstands von 1956. Bei einer Gedenkveranstaltung zum 60. Jahrestag des ungarischen Volksaufstands, der am 23. Oktober seinen Anfang nahm, sind gestern Gegner und Anhänger von Ministerpräsident Viktor Orbán aneinandergeraten. Hunderte Anhänger der liberalen Opposition pfiffen beim offiziellen Festakt vor dem Budapester Parlament den umstrittenen ungarischen Ministerpräsidenten aus.

Proteste der liberalen Opposition haben in Ungarn den Festakt zum Gedenken an die ungarische Revolution von 1956 begleitet. Die Opposition kritisiert den zunehmend autoritären Regierungsstil Orbáns. Zuletzt hatte man auch hinter der mysteriösen Schließung der oppositionellen Tageszeitung „Nepszabadsag“ vor zwei Wochen Orbans Hand vermutet.

Mehrere hundert Regierungsgegner versammelten sich am Rande der Gedenkfeier vor dem Parlamentsgebäude in Budapest und störten Orbáns Rede mit einem Pfeif- und Hupkonzert. Als der Lärm nicht nachließ, kam es zu Rangeleien zwischen Anhängern und Gegnern Orbáns.

„Jetzt, 2016, schließen wir Grenzen“

Zur Feier vor dem Parlament erschienen am Sonntag mehrere tausend Anhänger der rechts-nationalen Regierung. In seiner Rede sagte Orbán, die geographische Lage Ungarns treibe das Land gelegentlich „in die Strömung entscheidender Debatten über Europas Zukunft“. Es habe eine Zeit gegeben, „in der wir die Öffnung der Grenzen erlaubten, damit Deutsche sich mit Deutschen treffen konnten“, sagte er und meinte damit das Ende der DDR. „Jetzt, 2016, schließen wir Grenzen.“ Zu den Rednern der Veranstaltung zählte auch der polnische Staatschef Andrzej Duda, dessen Land ebenfalls eine restriktive Flüchtlingspolitik betreibt. Auch er wurde ausgepfiffen. Die mehrheitlich jugendlichen Gegendemonstranten sammelten sich indes an den Rändern des Parlamentsvorplatzes, riefen «Diktator! Diktator!» und bliesen in Trillerpfeifen.

Die Regierungsgegner übertönten in ihrem Umkreis die Reden Orbáns und Dudas. Auf der fast 100 Meter entfernt gelegenen Tribüne dürften sie jedoch weniger deutlich zu hören gewesen sein. Aber immerhin noch deutlich genug, dass ein enervierter Orbán in seiner Rede immer lauter wurde, um sie zu übertönen. Auch seine Mimik verriet starken Ärger. Kritiker werfen Orbán den Abbau der Demokratie vor und damit auch die Verhöhnung des Andenkens an den anti-sowjetischen ungarischen Volksaufstand vor 60 Jahren.

Am 23. Oktober 1956 hatte in Ungarn eine Revolte gegen die stalinistische Herrschaft begonnen. Sie wurde knapp zwei Wochen später von sowjetischen Truppen am 4. November mit Panzern blutig niedergeschlagen, bei der es zahlreiche Tote und Verletzte gab. Der Revolution in Ungarn erinnern sich in Österreich und Deutschland viele vor allem als Geschichte der großen Hilfsbereitschaft gegenüber den Zigtausenden Flüchtenden. Auch wenn der Alltag damals vielschichtiger war als gemeinhin behauptet – viele von den 300.000 Menschen, die damals aus Ungarn flohen und vornehmlich in Österreich und Deutschland und auch in den USA und Kanada Zuflucht fanden, sehen vor allem das Positive: „Die Freundlichkeit war gigantisch.“ Den Unterschied im Verhalten der Bevölkerung Flüchtlingen gegenüber zu heute erklären sie sich damit, dass „man lieber gibt, wenn man selbst wenig hat“.

von

Günter Schwarz  – 24.10.2016