(Chicago) – Weit dramatischer als gedacht war der Vorfall, der eine brennende Boeing 767 gestern Abend in Chicago zum Abbruch des Starts gezwungen hat. Es grenzt an ein Wunder, dass alle 161 Passagiere und neun Besatzungsmitglieder den „unbeherrschbaren Ausfall“ eines Triebwerks überlebten: Eine der Turbinen auf der rechten Seite war in Brand geraten und begann zu explodieren, wobei wegschießende Trümmer den Jet nur Sekunden vor dem Abheben durchlöchert hatten. Der Brand war so stark, dass Fenster und Teile der Tragfläche schon zu schmelzen begannen. Trotz der Aufregung gab es aufgrund des besonnenen Handelns der Crew keine Panik an Bord, und es kam auch nur zu 21 leichter verletzten Personen.

Nur Prellungen, Abschürfungen und andere leichtere Verletzungen haben laut offiziellen Angaben 20 Passagiere und eine Flugbegleiterin des Fluges 383 von Chicago nach Miami am Freitag erlitten, als Trümmer eines explodierten Triebwerks an der rechten Tragfläche die Maschine mit 19.504 Kilogramm Kerosin in den Tanks nur Augenblicke vor dem Take-off in Brand setzten.

Inoffiziell stuften Ermittler gegenüber der Nachrichtenagentur AP das Geschehnis bereits als „unbeherrschbaren Ausfall“ (uncontained engine failure) ein – mit diesem Fachbegriff wird ein irreparabler mechanischer Schaden an den Turbinen bezeichnet, bei dem im konkreten Fall Triebwerksteile mit der Geschwindigkeit von Feuerwaffenmunition die Außenhaut des Jets aufrissen. Das Feuer war bereits in den Innenraum vorgedrungen.

Hitze schmolz Fenster

Die Passagierin Sarah Ahmed schilderte gegenüber AP, dass sich das Flugzeug bereits auf der Startbahn in voller Beschleunigung befunden habe, als das Triebwerk zu brennen begann. Alle Passagiere auf der rechten Seite des Flugzeugs seien aus ihren Sitzen gesprungen und auf die linke Seite geflüchtet: „Und die Leute schreien: ‚Macht die Türe auf! Macht die Türe auf!‘ Jeder schreit und springt auf die anderen drauf, um die Türen aufzubekommen.“

„Inzwischen, ich glaube, das waren sieben Sekunden, war schon Rauch im Flugzeug, und das Feuer schlägt die Fenster hoch, und es schmilzt die Fenster“, so die Augenzeugin weiter. Experten vermuteten aus Aufnahmen aufgrund der Neigung der rechten Tragfläche auch, dass das Feuer bereits Tragflächenteile zum Schmelzen gebracht hatte. Dennoch gelang die planmäßige Evakuierung – die Verletzungen zogen sich die Menschen laut offiziellen Angaben auf den Notrutschen zu.

„Hätte absolut verheerend sein können“

Auf Fotos und Videoaufnahmen von Augenzeugen war zu sehen, wie schwarzer Rauch über dem Flugzeug aufstieg. Einige Passagiere machten in unmittelbarer Nähe des brennenden Flugzeugs Handyfotos und -videos, statt sich möglichst rasch davon zu entfernen. Neben einem technischen oder Wartungsfehler kommt als weitere Unglücksursache allenfalls in Betracht, dass ein größerer Vogel von den Triebwerken beim Start eingesaugt wurde.

Die Maschine wurde laut offiziellen Angaben 2003 gebaut und zählte damit zu den jüngeren Modellen der American-Airlines-Flotte. Laut dem Flugdatenportal FlightGlobal absolvierte die Boeing bisher 7.500 Flüge mit insgesamt 47.000 Flugstunden. American hat auch Flugzeuge im Dienst, die auf doppelt so hohe Werte kommen. Untersuchungen der Flugsicherheitsbehörde zu dem „sehr ernsten“ Ereignis sind angelaufen.

Laut Feuerwehrsprecher Timothy Sampey konnte der Pilot den Start der Maschine gerade noch rechtzeitig abbrechen. „Das hätte absolut verheerend sein können, wenn es später passiert wäre.“ Der letzte bekannte vergleichbare Vorfall geschah 1989 mit einer DC-10 im US-Bundesstaat Iowa. In diesem Fall leitete der Pilot sofort nach dem Start eine Notlandung ein. 111 Menschen kamen ums Leben, 185 überlebten.

von

Günter Schwarz  – 30.10.2016