(Ankara) – In einer Serie nächtlicher Razzien hat die türkische Polizei die Chefs der prokurdischen Oppositionspartei HDP festgenommen. Unter den Festgenommenen seien die beiden Ko-Parteivorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag sowie mehrere Parlamentsabgeordnete der HDP, berichteten die Agentur Anadolu und weitere Medien in der Nacht zu Freitag. Die Zugriffe seien im Rahmen von Anti-Terror-Ermittlungen erfolgt.

Mit den Festnahmen weiteten die türkischen Behörden ihr Vorgehen gegen Kritiker von Präsident Recep Tayyip Erdoğan massiv aus. Den Medienberichten zufolge gab es kurz nach Mitternacht (Ortszeit) zeitlich abgestimmte Polizeirazzien mit Festnahmen von HDP-Politikern in mehreren türkischen Städten. Die Parteizentrale in Ankara werde durchsucht. Die HDP ist mit 59 Sitzen die drittgrößte Partei im Parlament und die größte politische Vertretung der Kurden.

Ko-Parteichef Demirtas wurde den Angaben zufolge aus seinem Haus in Diyarbakir im Südosten der Türkei abgeführt. Kurz vor seiner Festnahme hatte er eine Erklärung über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreitet: „Vor der Tür meines Hauses in Diyarbakir stehen Polizisten mit der Anweisung zur Vollstreckung eines Haftbefehls.“

In der vergangenen Woche hatte ein türkisches Gericht die Ko-Parteichefin Yüksekdag bereits mit einem Ausreiseverbot belegt. Sie wurde nun den Berichten zufolge in Ankara festgenommen. Für beide Parteichefs war es die erste Festnahme.

Der Sender NTV berichtete unter Berufung auf das Innenministerium, neben den beiden Parteichefs seien neun andere HDP-Abgeordnete festgenommen worden. Unter ihnen seien Fraktionschef Idris Baluken und der prominente Parlamentarier Sirri Sürreya Önder.

Die Festnahmen wurden nur möglich, weil das türkische Parlament die Immunität von Parlamentariern gegen Strafverfolgung aufgehoben hatte. Dies war eine der international als repressiv kritisierten Maßnahmen, mit denen die Führung um Erdogan auf den gescheiterten Militärputsch im Juli reagierte. Zuletzt waren die Behörden auch massiv gegen kritische Medien vorgegangen, etwa gegen die Zeitung „Cumhuriyet“.

Gegen Demirtas, Yüksekdag und andere HDP-Politiker liefen bereits seit längerem mehrere Ermittlungsverfahren, in denen es den Vorwand um „Terrorpropaganda“ und „Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation“ geht. Die türkische Regierung wirft der linksliberalen HDP vor, der politische Arm der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu sein, was die Partei zurückweist. Welche exakten Verdachtsmomente nun zum Zugriff der Polizei in der Nacht zu Freitag geführt hatten, wurde zunächst nicht mitgeteilt.

 von

Günter Schwarz – 04.11.2016