Knallhart erzählt, krachend und bewegend: In seinem Roman-Debüt „Hool“ vermittelt der Autor Philipp Winkler einzigartige Einblicke in die hermetisch abgeschlossene Szene der Fussball-Hooligans.

„’Ne Faust kommt mir entgegen. Ich nehm den Schwung mit. … Tauche unterm Schlag durch. … Ich kloppe ihm einen Schwinger direkt in seine Drecksfresse. Macht den Klappmann, krümmt sich und stöhnt. … Er bleibt liegen.“

Ganz nah ran an Hooligans

Philipp Winkler geht in seinem Roman ganz nah ran an seine Protagonisten: eine Gruppe von fiktiven Hooligans in Hannover. So beschreibt er etwa den Verlauf von so genannten Matches: So heißen in der Szene die gewalttätigen Treffen, zu denen sich die verfeindeten Hooligans zweier unterschiedlicher Fußballvereine regelmäßig vereinbaren.

Fernab von der Polizei

Die Matches finden außerhalb der Stadien statt, irgendwo auf abgelegenen Parkplätzen oder Industriebrachen. Jedenfalls fernab von der Polizei. Schließlich will man ungestört sein, wenn man aufeinander losgeht, dem Adrenalin freien Lauf lässt – und blind dreinschlägt. Bis die Nasen bluten, die Knochen brechen, der Gegner sich vor Schmerz im Dreck windet. Einmal reißt einem der Schläger gar die Netzhaut. Er erblindet.

Milieustudie eines verschlossenen Kreises

Was treibt die jungen Männer an? Um diese Frage dreht sich das Roman-Debüt des 30-jährigen Autors. Er selbst sei zwar seit seiner Kindheit Fußballfan, aber mit Hooligans habe er persönlich nie etwas am Hut gehabt, sagt Winkler. Umso wichtiger sei für ihn die Recherche, Gespräche mit ehemaligen Hooligans, mit Fanbeauftragten sowie die Lektüre von Fachliteratur gewesen.


Philipp Winkler hat es mit seinen Debutroman auf die Shortlist des Buchpreises geschafft.
Herausgekommen ist ein von der ersten bis zur letzten Seite packender Roman, der detailgetreu die innere Mechanik des ansonsten nach außen hermetisch abgeschlossenen Hooligan-Milieus ausleuchtet.

Das Buch hat es auf die Shortlist des diesjährigen deutschen Buchpreises geschafft.

Prügeln und Saufen

Im Zentrum der Handlung steht die Figur Heiko, ein Mittzwanziger. Mit einer Handvoll Kumpels nimmt er regelmäßig an Matches teil, schlägt, prügelt, rauft. Danach fließt Bier. Viel Bier.

Heiko entstammt völlig zerrütteten Verhältnissen. Mutter weg, Vater Alkoholiker, Schule geschmissen, ein Hilfsjob in einem Fitness-Center, null Perspektive. Sind die Hooligans seine Ersatzfamilie? Vielleicht. Der Roman ist zu vielschichtig, um sich festlegen zu lassen.

Spass am Schmerz der anderen

Möglicherweise hat Heiko auch einfach schlicht Freude daran, anderen Schmerzen zuzufügen. Oder sich stark zu fühlen. Oder der Langeweile seines verpfuschten Lebens zu entfliehen. Oder die Kameradschaft mit den anderen Hooligans zu spüren. Oder deren Bestätigung und Zuspruch zu erhalten, wenn er wieder einmal besonders hart dreinschlägt. Oder alles miteinander.

Heiko fällt im Laufe des Romans in eine tiefe Sinnkrise: Seine engsten Kumpels verabschieden sich einer nach dem anderen aus der Hooligan-Szene. Einer wird Junioren-Trainer, ein anderer will sich künftig um Frau und Kind kümmern, ein dritter will studieren.

Was bleibt ist Mitleid

Und Heiko? Er spürt sich nur, wenn er draufhaut. Er ist am Ende allein. Ein Kampfhund ist der letzte Gefährte, der bleibt.

Philipp Winklers Buch verstört. Nicht nur durch den ungeschminkten Blick in eine durch und durch kaputte Welt. Auch deshalb, weil Heiko unser Mitgefühl erheischt. Er ist ein im Inneren zutiefst zerrissener Mensch. Ohne Halt im Leben. Ohne Sinn.

Sprache, die schmerzt

Schließlich tut die Sprache ihr Übriges, um der Leserschaft vollends weh zu tun: Kraftausdrücke, vulgärste Flüche, Grobschlächtigkeiten am laufenden Meter: „Sauhund“, „Ficker“, „Bullenschwein“.

Frauen sind grundsätzlich „Fotzen“ und Lehrkräfte „allesamt versnobte Arschlöcher und frigide alte Froschmösen“.

Sprache, die hoffen lässt

Und doch ist es die Sprache, die bisweilen zumindest ein wenig Hoffnung für Heiko aufblitzen lässt, und das ist sein Talent für Ironie. So sagt er etwa über kläffende Kampfhunde, sie seien „Bassboxen auf vier Beinen“, über das von Schlägen geschundene Gesicht eines Freundes, es habe „die Farbmischung eines Obstkorbs“. Und einmal riecht es „wie ein vollgefurzter Altglascontainer.“

Gibt es für einen jungen Menschen mit einer derartigen sprachlichen Kreativität tatsächlich keine Alternative?

Aufbau Verlag, Berlin 2016, gebunden 310 Seiten, 19,95 EUR, ISBN 9783351036454
von

Günter Schwarz – 07.11.2016