Wie bei US-Wahlen wirklich manipuliert wird
Mit seiner Behauptung, bei den Präsidentschaftswahlen werde betrogen, hat Donald Trump für große Aufregung gesorgt. Wie so oft hat er überzogen. Aber Trump liegt nicht völlig falsch, denn eines stimmt: Es gibt Probleme!
„In diesem Land, den Vereinigten Staaten von Amerika, entscheiden die Wähler die Wahlen. So war das immer: Wähler entscheiden, wer gewinnt und wer verliert, Punkt und Ende der Geschichte.“
First Lady Michelle Obama wirkte wütend, als sie diese Sätze Ende Oktober bei ihrem gemeinsamen Wahlkampfauftritt mit Hillary Clinton in North Carolina rief. Ihr Ärger richtete sich gegen Donald Trump. Seit Monaten behauptet der, dass die Wahlen in den USA manipuliert würden (er hatte dies auch über die Vorwahlen gesagt, die er am Ende gewann).
„Sie wollen die Wahlen sogar in der Wahlkabine manipulieren“, sagt Trump. „Leute, die vor zehn Jahren gestorben sind, gehen noch immer wählen. Illegale Einwanderer gehen zur Wahl.“ Wahlbetrug, so der republikanische Präsidentschaftskandidat, sei „sehr, sehr weit verbreitet“.
Trump zielt nicht nur, aber vor allem auf Wahlbetrug, der von Wählern ausgeht, nicht von den Behörden. Obwohl das Wahlsystem für diese Form des Betrugs tatsächlich anfällig ist, weil es kein Melderegister gibt, scheint so etwas nur selten vorzukommen. Nach einer häufig zitierten Studie des Verfassungsrechtlers Justin Levitt gab es zwischen den Jahren 2000 und 2014 lediglich 31 Fälle von Wahlbetrug, bei insgesamt einer Milliarde abgegebener Stimmen in diesem Zeitraum. „Sehr, sehr weit verbreitet“ scheint Wahlbetrug nicht zu sein.
Also alles in Ordnung? Nein. Es gibt durchaus Probleme bei Wahlen in den USA. Ein Überblick.
„Gerrymandering“
Mit der Gestaltung der Wahlkreise fängt es an. Alle zehn Jahre schneiden die Bundesstaaten die Stimmbezirke für die Kongresswahlen neu zu. Sinn der Sache ist es, Verschiebungen bei den Bevölkerungszahlen zu berücksichtigen. Tatsächlich werden jedoch regelmäßig Wahlkreise geschaffen, die eine Partei bevorzugen. Das machen Republikaner und Demokraten gleichermaßen so. Und es ist auch alles andere als neu. Schon der Begriff für diese Praxis, „Gerrymandering“, geht auf die Frühzeit der USA zurück: auf Elbridge Gerry, der in seiner Zeit als Gouverneur von Massachusetts Anfang des 19. Jahrhunderts genau dies machte, um sich und seiner Partei einen Vorteil zu verschaffen.
Der siebente Kongresswahlkreis von Pennsylvania besteht aus zwei Teilen, die kaum miteinander verbunden sind.
Die Operation hieß „Redmap“, kurz für „Redisctricting Majority Project“, und sollte den Republikanern, die damals die meisten Bundesstaaten kontrollierten, eine stabile Mehrheit im US-Repräsentantenhaus sichern. „Red map“ bedeutet „rote Landkarte“. Ziel war es, die Wahlkreiskarte der USA dauerhaft rot zu färben, in der Farbe der Republikaner.
So professionell wie bei Redmap wurde Gerrymandering wohl noch nie betrieben. Die Grenzen der Wahlbezirke seien so umfassend verändert worden, dass die Demokraten es 2020 nicht schaffen werden, dies rückgängig zu machen, sagt David Daley, der ein Buch über die Operation geschrieben hat.
Wie undemokratisch Gerrymandering sein kann, erkennt man auf den ersten Blick, wenn man sich Karten von besonders skurrilen Wahlbezirken ansieht. Der siebte Kongresswahlkreis von Pennsylvania beispielsweise besteht aus zwei Teilen, die kaum miteinander verbunden sind. Ganz Ohio ist so zugeschnitten, dass die Republikaner dort vor zwei Jahren drei Mal so viele Sitze gewonnen haben wie die Demokraten, obwohl sie in diesem Bundesstaat nur anderthalb Mal so viele Stimmen erhielten.
Probleme mit der Technik: Florida 2000
Auch in Deutschland erinnert man sich noch an die Präsidentschaftswahl des Jahres 2000, als unzureichend gelochte Stimmkarten in Florida dem Republikaner George W. Bush zum Sieg verhalfen. 36 Tage lang wurde immer wieder nachgezählt. Das war schwierig, weil viele Stimmkarten nicht richtig ausgestanzt waren. Der Grund: Die Papierschnipsel waren mitunter nicht entfernt worden, so dass einige Male kein sauberes Loch entstand. Die Folge waren Stimmkarten, die man so oder so werten konnte.
Gore, Bush oder ungültig? Das war vor 16 Jahren in Florida nicht immer leicht zu entscheiden.
In der Wahlnacht wurde zunächst Gore zum Sieger in Florida erklärt, dann Bush. Am Tag nach der Wahl verlangte Gore eine Neuauszählung in vier Countys. Im County Miami-Dade kam es zu Ausschreitungen, die dafür sorgten, dass die Auszählung dort abgebrochen wurde. (Zu den Teilnehmern der vermutlich inszenierten Proteste gehörte auch ein gewisser Roger Stone, der im aktuellen Wahlkampf für Trump gearbeitet hat und als dessen Vertrauter gilt.)
Katherine Harris erklärte die Nachzählungen für beendet, obwohl nur zwei Stimmbezirke fertig geworden waren. Bush hatte zu diesem Zeitpunkt dem offiziellen Ergebnis zufolge 537 Stimmen mehr als Gore. Am Ende segnete der Oberste Gerichtshof der USA diese Entscheidung ab. Bush hatte gewonnen. „Diese Wahl wurde von fünf Personen entschieden“ – von den Richtern, sagte Suzannes Gunzburger, die damals an den Nachzählungen beteiligt war, in der Radiosendung „Reveal“.
Noch mehr Probleme mit der Technik: Ohio 2004
Nach der Erfahrung des Jahres 2000 wurde das System der Lochkarten abgeschafft. In den meisten Bundesstaaten wird mittlerweile mit elektronischen Wahlmaschinen gewählt. Problemlos ist das allerdings auch nicht. Nach einer Untersuchung des Brennan Center for Justice der Universität New York benutzen 43 Bundesstaaten elektronische Wahlmaschinen, die mindestens zehn Jahre alt und damit „gefährlich nah am Ende der Lebenserwartung der meisten dieser Systeme“.
Die meisten Bundesstaaten benutzen elektronische Wahlmaschinen.
Solche Vorwürfe werden aktuell in Texas erhoben. Dort sagen Wähler, die ihre Stimme Trump geben wollten, dass die Maschine Hillary Clinton angezeigt habe. Betrug oder technisches Problem? Sracic glaubt nicht, dass bewusster Wahlbetrug hinter solchen Vorkommnissen steckt. „Es war keine Verschwörung, es war ein Problem mit den Maschinen“, sagt er über die Wahl in Ohio 2004.
Und noch mehr Probleme mit der Technik
Der grundsätzliche Haken bei elektronische Wahlmaschinen ist, dass sie einfach nicht sicher sind. Vor ein paar Jahren hackte sich der Computerwissenschaftler Alex Halderman mit ein paar Studenten in ein Programm für Internet-Voting ein, das gerade in Washington D.C. getestet wurde. Innerhalb eines Tages manipulierten sie die Software so, dass jede bereits abgegebene und jede künftige Stimme für einen Kandidaten ihrer Wahl gewertet wurde. 15 Sekunden nach der Stimmabgabe hörte jeder Wähler außerdem das „Kampflied“ der Universität von Michigan.
Die konkrete Stelle, über die Halderman und seine Studenten in das System eindrangen, könne leicht repariert werden, schreibt der Professor, und eines Tages werde es vielleicht möglich sein, sichere Methoden für die Stimmabgabe über das Internet zu entwickeln. Bis dahin sollten solche Systeme jedoch als verwundbar eingestuft werden.
In Washington ging es um ein Pilotsystem, aber Internet-Voting ist längst Realität. Mehr als 30 Bundesstaaten erlauben diese Art der Stimmabgabe, wenn auch hauptsächlich für Wähler, die im Ausland leben oder in Übersee beim Militär dienen.
Oder doch Betrug?
Wahlmaschinen sind nicht nur nicht sicher, man kann sie im Nachhinein auch nicht überprüfen. Mit Blick auf Ohio 2004 ist Robert F. Kennedy Jr., ein Journalist und Rechtsanwalt, daneben Neffe des früheren US-Präsidenten John F. Kennedy, davon überzeugt, dass betrogen wurde. Er veröffentlichte 2006 in der Zeitschrift „Rolling Stone“ einen Artikel, in dem er diverse Probleme aufzählte.
Demnach seien damals 80.000 Stimmen für Kerry als Stimmen für Bush gezählt worden. Das allein hätte Bush einen Vorsprung von 160.000 Stimmen verschafft. Den offiziellen Zahlen zufolge gewann Bush in Ohio mit einem Vorsprung von knapp 120.000 Stimmen. Ohio hatte damals im „electoral college“, dem Gremium der Wahlmänner und -frauen, 20 Stimmen. Wären diese Stimmen Kerry zugefallen, hätte Bush die Wahl verloren.
Kennedys Analyse ist nicht unumstritten. Aber einige Vorwürfe, die er mit Blick auf Ohio erhebt, stellen ein grundsätzliches Problem dar – darunter die „Bereinigung“ von Wählerverzeichnissen oder Methoden, den Urnengang für Minderheiten so schwer wie möglich zu machen.
Bereinigung von Wählerverzeichnissen
Da es in den USA keine Personalausweise und keine Meldeämter gibt, müssen Wählerverzeichnisse geführt werden. Wer wählen will, muss sich registrieren lassen. Damit nicht im Namen eines Toten gewählt wird, damit Ausländer nicht und US-Wähler nicht mehrfach wählen, müssen die Verzeichnisse regelmäßig kontrolliert werden. Das ist soweit unstrittig.
„Sie wollen die Wahlen sogar in der Wahlkabine manipulieren“, sagt Trump.
Wahrscheinlich kommt beides vor. In Harrisburg im Bundesstaat Virginia wurden gerade 18 bis 20 Tote im Wählerverzeichnis entdeckt. Das FBI ermittelt, die Republikaner sagen, dies sei ein Beweis für Wahlbetrug. Die Demokraten dagegen sagen, für keinen der Toten sei eine Stimme abgegeben worden.
Eine problematische Methode der Bereinigung von Wählerverzeichnissen ist, Namen von Wählern zu vergleichen und doppelte Einträge zu streichen. „In Ohio habe ich mit einem Wähler gesprochen, einem Schwarzen“, sagte der US-Journalist Greg Palast n-tv.de. „Er wurde aus dem Wählerverzeichnis gestrichen.“ Der Mann heißt Donald Alexander Webster. „Angeblich ist er identisch mit einem Wähler namens Donald Eugene Webster in Virginia.“
Weitere Hindernisse
Um Wahlbetrug zu verhindern, wird häufig gefordert, die Bestimmungen für die Ausweiskontrollen zu verschärfen. Da Amerikaner keinen Personalausweis haben, können die Bundesstaaten festlegen, wie die Wähler sich in Wahllokalen ausweisen müssen. Auch hier sind es tendenziell die Republikaner, die auf schärfere Bestimmungen setzen, während die Demokraten die Hürden lieber niedrig halten wollen.
Immer wieder wird zudem über lange Schlangen vor Wahllokalen in Gegenden berichtet, in denen vor allem Arme oder Angehörige von Minderheiten leben – Wählergruppen, die tendenziell die Demokraten bevorzugen. „In Wahlbezirken in denen vorwiegend Schwarze leben, gibt es nur wenige Wahlmaschinen, so dass es vorkommt, dass schwarze Wähler vier, fünf Stunden warten müssen, um wählen zu können“, sagt Greg Palast. „In reichen weißen Vororten dauert es dagegen meist nur zwei oder drei Minuten.“
Trumps Aufforderung an seine Anhänger, die Wahllokale „in bestimmten Gegenden“ zu beobachten, haben Bürgerrechtsorganisationen zudem als Einschüchterungsversuch verstanden. Solche Drohungen hätten in diesem rassistisch aufgeladenen Wahlkampf „einen perfekten Sturm für den Entzug des Wahlrechts“ geschaffen, sagte der Bürgerrechtler Wade Henderson.
Schließlich: Das „electoral college“
Der letzte Punkt in dieser Liste ist wiederum historisch bedingt. In den USA wählen die Wähler nicht den Präsidenten, sondern bestimmen die Wahlmänner und -frauen ihres Bundesstaates, die dann ihrerseits den Präsidenten wählen. Dies geschieht im „electoral college“.
Abgesehen von den üblichen Nachteilen, den ein indirektes Mehrheitswahlrecht mit sich bringt, ist dies problematisch, weil die Stimmen in Bundesstaaten mit wenig Einwohnern ein unverhältnismäßig hohes Gewicht haben. In Wyoming kommt ein Wahlmann auf 135.000 Wähler, in Kalifornien sind es 411.000 Wähler.
„Die USA basieren auf dem Glauben an die Demokratie“
Wie kann Michelle Obama angesichts all dieser Probleme sagen, dass es allein die Wähler sind, die entscheiden, wer gewinnt? „Die USA basieren auf dem Glauben an die Demokratie, daran, dass der Wille des Volkes zu etwas Gutem führt“, sagt der Psychologe Dan McAdams. Trump unterminiere „den Glauben an das amerikanische Projekt auf eine Art und Weise, wie es kein anderer Präsidentschaftskandidat je gemacht hat“. Damit ist Trump sehr erfolgreich: Dass bei Wahlen betrogen wird, glauben 85 Prozent seiner Anhänger.
Das Wort „Projekt“ ist der Schlüssel, um zu verstehen, warum Michelle Obama und viele andere Amerikaner Trumps Vorwurf so schockierend finden. Wenn sie nicht gerade wütend sind, betrachten die meisten US-Bürger ihr Land als Projekt, das immer besser wird, aber eben auch immer unfertig ist. In dieser Sichtweise waren die USA immer eine Demokratie, auch wenn anfangs nur die männlichen weißen Grundbesitzer wählen durften.
Kurzum: Wenn Donald Trump die Legitimität der Wahlen in Zweifel zieht, liegt er nicht komplett falsch. Innerhalb des amerikanischen Projekts hat er dennoch Unrecht.
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Quelle: n-tv.de / Hubertus Volmer – 07.11.2016