Hans Christians Andersens Märchen „Den grimme Ælling“ (Das hässliche Entlein)  wird am 11. November 1843 das erste Mal veröffentlicht und wird 1844 in die Sammlung „Nye Eventyr“ (Neue Märchen) aufgenommen.

Kurzfassung: Das hässliche Entlein

Es war Sommer auf dem Lande, die Weizenfelder leuchteten gelb und das Heu war aufgetürmt, an den Ufern des Kanals wuchs hohes Gras. Zwischen dem hohen Gras saß eine Ente auf ihrem Nest und wartete, dass ihre Küken aus den Eiern schlüpfen, sie war ungeduldig, denn sie hatte schon so lange darauf gewartet. Endlich war es so weit, die Eier knackten nacheinander auf und ein Küken nach dem anderen streckte den Kopf heraus. Es dauerte gar nicht lange und alle Küken waren geschlüpft, bis auf eins, es war das größte Ei, die Entenmutter wartete auch noch auf dieses Küken.

Es stolperte aus dem Ei und die Mama war ganz entsetzt, denn das Küken war größer als die anderen und sehr hässlich. Am nächsten Tag war es schön sonnig und warm und die Entenfamilie machte einen Ausflug, die Mama platschte ins Wasser und die Küken folgten ihr, bald schwammen alle recht gut, auch das graue, hässliche Entlein. Die Mutter ermahnte ihre kleine, dicht bei ihr zu bleiben, denn sie gehen zum Bauernhof, die anderen Enten bewunderten die süßen kleinen Küken, außer dem großen, grauen, hässlichen Entlein.

Sie blieben auf dem Bauernhof, nur das hässliche Entlein war dort sehr unglücklich, die älteren Enten pickten und verspotteten es, nirgendwo konnte es sich verstecken, also lief es eines Tages davon. Es lief und lief, bis es zu den Wildenten kam, da lag es zwei ganze Wochen im Schilf, bald kamen ein paar der wilden Enten, schauten es an, lachten und sagten, wie hässlich es doch wäre.

Das kleine Entlein verließ auch den Sumpf, es lief über Felder und Wiesen, der Wind wehte und es regnete, das kleine Entlein war einsam, es fror und es war sehr nass. Grade als es dunkel wurde, fand es ein kleines Häuschen, das Häuschen war sehr alt und die Tür fiel schon fast auseinander, aber es hatte ein kleines Loch, durch das das Entlein schlüpfte und sich so gegen Wind und Regen schützen konnte.

In dem kleinen Haus lebte eine alte Frau, die hatte eine Katze, die schnurrte und ein Huhn, das Eier legte, die Frau fand am Morgen das kleine traurige Entlein, das sehr müde und hungrig war. Die Frau beschloss, dass das Entlein bei ihnen bleiben kann, denn es würde ja mal Enteneier legen. Das tat das Entlein aber nicht, also beschlossen die Katze und das Huhn, das das Entlein gehen muss, denn Eier legen kann es nicht und schnurren auch nicht.

So ging das Entlein wieder und war wieder alleine, es ging über Wiesen, über Felder und schwamm hier und da im Wasser und überall, wo es andere Tiere sahen, sagte man, wie groß und wie hässlich das Entlein sei. Als der Winter kam, die Blätter von den Bäumen fielen, der Boden hart war, hatte das Entlein immer noch keinen Platz, an dem es bleiben konnte. Eines Abends sah es einen Schwarm schöner weißer Vögel mit langen Hälsen, es waren Schwäne und es dachte, wie gerne wäre es so wunderschön wie diese Vögel und wanderte traurig weiter und der Winter wurde immer kälter.

Eines Tages, als es immer noch nichts zu essen gefunden hatte, fand es ein Loch im Eis eines Teiches und schwamm darin, bis es vor Müdigkeit im Eis einschlief und einfror, bis ein Bauer es fand und mit nach Hause nahm. Dort wurde es von Tag zu Tag krätiger, denn die Frau kümmerte sich um das Entlein. Doch bald lief es auch vom Bauern davon, weil die Bauernkinder mit ihm spielen wollten und so grob zu ihm waren.

Im tiefen Schilf fand das Entlein einen Platz bis zum Ende des Winters. Dann nach vielen Wochen wurde die Sonne kräftiger und das Entlein breitete seine Flügel aus, die inzwischen sehr stark waren, plötzlich erhob es sich und flog hoch in der Luft. Unter ihm im Kanal schwamm drei wunderschöne Schwäne, das Entlein flog hinunter, um sie zu bewundern und sah sein Spiegelbild im Wasser und konnte nicht glauben, was es sah. Es war über den Winter zu einem wunderschönen weißen, anmutigen Schwan herangewachsen. Die anderen Schwäne bewunderten seine Grazie und sagten, er solle mit ihnen kommen, was er dann auch tat!

Interpretation des Märchens

Das hässliche Entlein repräsentiert den Archetypen des Außenseiters. Andersen selbst war Zeit seines Lebens ein Außenseiter und wurde wegen seinem Aussehen häufig abfällig beschrieben. So schrieb Hebbel: „Der Dichter Andersen. Eine lange, schlottrige, lemurenhafte-eingeknickte Gestalt mit einem ausnehmend hässlichen Gesicht“. Somit dient das Märchen auch zur Selbstakzeptanz sowie einer Kritik an der unbarmherzigen Umwelt, die nicht nur auf die damalige Zeit zutreffend ist.

Die massive Eierschale symbolisiert bereits das seelisch verschlossene versteinerte Kind zum Beginn des Lebens. Es will nicht aufbrechen, es ist also ein Spätentwickler wie Andersen selbst.

Die Depression des hässlichen Entleins und damit auch Andersens, kann gar nicht besser beschrieben werden, als „Und der Winter wurde kalt, so kalt. Das Entlein musste im Wasser herumschwimmen, um das völlige Zufrieren des desselben zu verhindern; aber in jeder Nacht wurde das Loch, in dem es schwamm, kleiner und kleiner. Es fror, so dass es in der Eisdecke knackte; damit das Loch sich nicht schloss. Zuletzt wurde es matt, lag ganz stille und fror so im Eise fest“. Das hässliche Entlein ist in eine „reaktive Depression“ versunken, also eine Reaktion auf unerträglich gewordene Lebensverhältnisse. Die Botschaft: Suche dir einen Helfer aus der Depression, in diesem Fall war es der Bauer, der die Ente aus dem Eise befreite.

von

Günter Schwarz – 11.11.2016