Zuwanderung aus der EU in die Schweiz: Bald alles in Butter?
Verschiedene Medien zitieren einen notabene anonymen EU-Diplomaten, wonach man sich in Brüssel offenbar nach und nach mit der aktuellen Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative (MEI) anzufreunden beginne. Der diplomatische Silberstreifen wird indes getrübt. Vor allem durch die Realität.
„Was wir zurzeit sehen, scheint darauf hinzudeuten, dass die Quadratur des Kreises möglich ist.“
Mit dieser etwas kryptischen Formulierung erklärte ein anonymer EU-Diplomat aus Brüssel einer handvoll Journalisten die augenblickliche Verfassung der diplomatischen Bemühungen, europäische Prinzipien und die Masseneinwanderungsinitiative unter einen Hut zu bringen. Noch sei diese Quadratur nicht erreicht, man müsse an einer Lösung arbeiten. Das könne allerdings auch schief gehen.
Die EU will bei der MEI-Umsetzung mitreden
Zwar hat die EU der Schweiz keine offiziellen Verhandlungen über die Personenfreizügigkeit zugebilligt, und trotzdem werden auch mit ihr Gespräche geführt. So haben Schweizer Top-Diplomaten EU-Vertretern die Anträge der Ständeratskommission zur Umsetzung der Initiative erläutert.
Diese möchte Firmen verpflichten können, offene Stellen zu melden und inländische Stellenbewerber zu einem Bewerbungsgespräch einzuladen. Ablehnungen müssten begründet werden. Dazu könnten aber nur Arbeitgeber jener Branchen verpflichtet werden, in welchen die Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich hoch ist.
Nach Ansicht der Ständeratskommission wäre eine solche Lösung gerade noch vereinbar mit dem Freizügigkeitsabkommen. Dieses erlaubt Abhilfemaßnahmen bei schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Problemen. Dazu ist aber die Zustimmung des Gemischten Ausschusses Schweiz-EU nötig. Im Umsetzungsvorschlag der Ständeratskommission ist das so nicht vorgesehen.
Einigung in den Grauzonen?
Im Einzelnen wollte sich der EU-Diplomat nicht zu diesen Abläufen äußern. Der ruppige Ton, den man bisher in der EU vernommen hat, der sei vor allem Verhandlungstaktik gewesen, heißt es.
Insbesondere ließ man offen, ob die vorgeschlagene Umsetzung mit dem Freizügigkeitsabkommen vereinbar wäre. Es ist klar, dass jede Freiheit Grenzen habe und an Bedingungen geknüpft werden könne. Die rote Linie, die mit der Schweiz nicht überschritten werden dürfe, ist die offene Diskriminierung von EU-Bürgern.
Für die EU scheint es eine große Rolle zu spielen, wie sich eine Schweizer Regelung in der Praxis auswirkt. Laut einem EU-Vertreter käme es in Brüssel nicht gut an, wenn sich EU-Bürger bei der Kommission beschwerten, dass sie auf dem Schweizer Arbeitsmarkt diskriminiert werden. Einen gewissen Spielraum scheint es aber zu geben. Je grauer die Lösung der Schweiz, umso grauer werde die Antwort der EU ausfallen, hiess es.
Das sind neue, ausgesprochen versöhnliche Töne. Das ist auch – sogar vor allem – eine präzis platzierte Botschaft, die die EU via Journalisten verbreitet wissen möchte. Denn in Brüssel blickt man mit Spannung auf den 16. Dezember.
EU-Pragmatiker müssen noch gewonnen werden
Denn dann führen die Schweizer Räte die Schlussabstimmung über das Umsetzung-Gesetz durch. Der Diplomat zeigte sich zuversichtlich, dass der gute Wille und die pragmatische Haltung beider Seiten ausreichen, um eine Lösung zu finden.
Allerdings gibt es in Brüssel nicht nur einen pragmatischen, sondern auch einen dogmatischen Flügel. Es besteht die Befürchtung, mit Zugeständnissen an die Schweiz ein Präjudiz zu schaffen, beispielsweise für die Austrittsverhandlungen mit Großbritannien.
Einige Mitgliedstaaten haben Fundamentalopposition gegen eine differenzierte Anwendung der Personenfreizügigkeit signalisiert. Für eine einvernehmliche Lösung müssten diese noch ins Boot geholt werden, denn letztlich liegt der Entscheid bei den Mitgliedstaaten. Und auch in der Schweiz selbst, hat der Lösungsvorschlag der Ständeratskommission nicht nur Befürworter gefunden
von
Günter Schwarz – 12.11.2016