Türkei in die SCO statt in die EU?
(Ankara) – Die Türkei könnte sich bei einem Ende der EU-Beitrittsverhandlungen nach den Worten von Präsident Recep Tayyip Erdoğan nach Russland und China orientieren. Eine Mitgliedschaft der Türkei in der EU sei nicht alternativlos, sagte Erdoğan nach Angaben der Zeitung „Hürriyet“ in der Sonntag-Ausgabe bei seinem Rückflug von Usbekistan vor mitreisenden Journalisten. Er wolle keinen Beitritt „um jeden Preis“.
Vorstellbar sei etwa, dass sich die Türkei der von Russland und China dominierten Shanghaier Kooperationsorganisation (SCO) anschließe. Darüber habe er bereits mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gesprochen. Mit einem SCO-Beitritt könne die Türkei politisch deutlich freier agieren, sagte er der Zeitung „Hürriyet“ zufolge.
Der SCO gehören neben Russland und China auch die zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan an. Die Organisation wurde 2001 als regionaler Sicherheitsblock gegründet, mit dem Ziel eines besseren Schutzes vor Islamisten und Drogenschmugglern aus Afghanistan. Die Türkei hat wie Weißrussland den Status eines Gesprächspartners, der an Treffen auf Ministerebene ohne Stimmrecht teilnehmen darf.
„EU hält uns seit vollen 53 Jahren hin“
Die Beitrittsgespräche zwischen der Europäischen Union und der Türkei stecken schon länger in einer Sackgasse. Das Vorgehen der türkischen Behörden unter anderem gegen Opposition und Medien nach dem Putschversuch hat den Streit zwischen beiden Seiten zusätzlich verschärft. In der EU mehrten sich zuletzt Forderungen, die Beitrittsgespräche auszusetzen.
Erst vor wenigen Tagen hatte Erdoğan von der EU eine Entscheidung über einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen bis zum Ende des Jahres gefordert und andernfalls ein Referendum in der Türkei angekündigt. Bei seinem Rückflug aus Usbekistan bemängelte Erdoğan nun erneut die zögerliche Haltung Europas im Beitrittsprozess. „Die EU hält uns seit vollen 53 Jahren hin“, sagte er.
Enttäuscht von Syrien-Politik
In einem Interview des US-Nachrichtensenders CBS machte Erdoğan seine Enttäuschung über die Politik Washingtons im Syrien-Konflikt und in der Flüchtlingskrise deutlich. „Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich sei nicht desillusioniert“, sagte Erdoğan in der Sendung „60 Minutes“ laut vorab veröffentlichten Auszügen des Gesprächs.
Die Türkei habe diese Themen bei US-Präsident Barack Obama und Vizepräsident Joe Biden zur Sprache gebracht, sagte Erdoğan>. „Sie haben sich der Situation nicht gewachsen gezeigt und diese Themen nicht ernsthaft behandelt. Das war für uns sehr ärgerlich.“
Wichtiger Partner in Flüchtlingspolitik
Die Türkei bekämpft in Nordsyrien die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS), aber auch die Kurdenmilizen der YPG. Die USA arbeiten im Kampf gegen den IS dagegen mit der YPG zusammen. Die YPG ist der syrische Ableger der in der Türkei, in der EU und in den USA verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK). Die Türkei hat nach eigenen Angaben rund drei Millionen Flüchtlinge aufgenommen.
von
Günter Schwarz – 21.11.2016