Statsminister Rasmussens „Flucht nach vorn“
(København) – Mit der Erweiterung seiner prekär engen Regierungsbasis hat der dänische Statsminister (Ministerpräsident) Rasmussen drohende Neuwahlen abwenden können. Eine Mehrheit fehlt ihm trotz der neuen Mitte-Rechts-Koalition aber weiterhin, denn die Erweiterung der hinter der Regierung stehenden Abgeordneten von 34 auf 53 bei 179 Sitzen im dänischen Folketing ist nun wirklich kein „Befreiungsschlag“.
Die Freunde gelte es sich nahe an der Brust zu halten, die Feinde aber noch näher – diese Weisheit aus der erfolgreichen Polit-Fernsehserie „Borgen“ scheint sich der dänische Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen zu Herzen genommen zu haben. Wochenlang balancierte die Minderheitsregierung seiner liberal ausgerichteten Venstre-Partei am Abgrund – wegen eines Streits mit der Liberalen Allianz (LA) um das Staatsbudget und namentlich den Spitzensteuersatz. Der Vorsitzende der LA verlangte ultimativ eine Steuersenkung, andernfalls entziehe er der Regierung die stille Unterstützung. Rasmussen drohte der Sturz; Neuwahlen schienen bereits am Horizont zu stehen.
Sturz verhindert
Um die Kontroverse zu entschärfen, bot Rasmussen der LA sowie den Konservativen, einer weiteren Partei, nun großzügig Ministerien in einer formell zu bildenden Koalition an. Den Spitzensteuersatz möchte unter idealen Umständen zwar auch er senken. Doch weil seine Venstre nur 34 von 179 Parlamentsmandaten innehat, ist er für die Durchsetzung politischer Vorhaben auf breiter Basis auf fremde Hilfe angewiesen. Nicht nur auf diejenige der LA und der Konservativen, sondern vor allem auch der rechtsnationalen und populistisch agierenden Dansk Folkeparti (Dänische Volkspartei), ohne die keine Mehrheit möglich ist. Die Volkspartei aber ist keineswegs bereit, „ein paar Reichen“ eine Steuererleichterung zuzugestehen.
Mit dem Schachzug, die LA und die Konservativen ins Boot seiner Regierung zu holen, konnte Rasmussen wenigstens vorläufig seine Haut retten. Man nehme nun ein weißes Blatt Papier und schreibe darauf ein völlig neues Regierungsprogramm, erklärte er am Montag. Es entstehe eine Regierung auf einer starken bürgerlichen Plattform, die langfristig bestehen könne.
„Heißer Tanz“ am Horizont?
Das allerdings ist etwas viel des Optimismus, wenn man die Zahlen anschaut. Statt einer prekären Minderheit von 34 Sitzen verfügt die neue Koalition über eine etwas weniger prekäre von 53 Mandaten – auch damit lässt sich noch wenig Staat machen. Und auch diese Regierung wird dem Wohlwollen der Dansk Folkeparti ausgeliefert sein. Mit zwei Juniorpartnern an Bord, die beide gegenüber ihren Wählern ein Programm zu verteidigen haben, wird es für den gewandten Taktiker Rasmussen zudem vielleicht sogar schwieriger, für einzelne Geschäfte ad hoc-Mehrheiten im Parlament über die Blockgrenzen von rechts und links hinaus zu schmieden.
Die Dansk Folkeparti, die nach den oppositionellen Sozialdemokraten zweitgrößte parlamentarische Formation, operiert nach wie vor geschickt aus dem Hintergrund. Sie lässt Rasmussen nach ihrer Pfeife tanzen. Und mehr denn je stehen ihr politische Alternativen offen.
Denn die vor eineinhalb Jahren von der Regierung verdrängten Sozialdemokraten haben festgestellt, dass sie in manchen Bereichen gar nicht so weit von der Volkspartei entfernt sind. Das betrifft in erster Linie sozial- und steuerpolitische Themen. Doch auch in der Flüchtlingspolitik bewegt sich die linke Großpartei inzwischen auf einer ähnlich restriktiven Linie wie die Formationen rechts der Mitte. Ein Kommentator sprach deshalb bereits von einem „heißen Tanz“ von den sich an die Macht zurücksehnenden Sozialdemokraten und der Folkeparti, der sich nach allfälligen Neuwahlen anbahnen könnte.
von
Günter Schwarz – 23.11.2016