Türkei provoziert mit Forderung nach neuen Grenzen
(Ankara / Istanbul) – Seit 1923 besteht die Türkei in den heutigen Grenzen. Präsident Erdoğan sieht Verbesserungsbedarf – speziell was Ägäis-Inseln angeht. Griechenland ist empört und reagiert mit einer klaren Ansage.
Neue provokante Äußerungen aus der Türkei über die Grenzziehung in der Ägäis bringen die griechische Regierung auf. „Wir stellen die Grundlage unserer Beziehungen nicht infrage. Aber wir werden auch niemandem anderen erlauben, sie infrage zu stellen“, sagte Regierungschef Alexis Tsipras am Mittwoch während einer Rede vor seiner Parlamentsfraktion.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte den 1923 geschlossenen Vertrag von Lausanne – Grundstein für die Beziehungen zwischen allen Staaten rund um die Türkei – am Dienstag in Ankara infrage gestellt: „“Lausanne ist kein unanfechtbarer Text, keinesfalls ist er ein heiliger Text.“ Er respektiere die Errungenschaften von Lausanne, aber man müsse darüber diskutieren, hatte Erdoğan hinzugefügt.
Erdoğan> hatte den Vertrag von Lausanne in der Vergangenheit immer wieder kritisiert – vor allem, weil einige Inseln in der Ägäis damals Griechenland zugesprochen wurden. Der Vertrag wurde 1923 zwischen den Siegermächten des Ersten Weltkriegs und der türkischen Führung unter Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk geschlossen und legte unter anderem die aktuellen Landesgrenzen der Türkei sowohl im Osten als auch im Westen des Landes fest.
Abgeordnete fordern Stopp der Gespräche
Derweil wächst in Straßburg der Ärger über die Vorgänge innerhalb der Türkei. Die Abgeordneten des Europaparlaments wollen am Donnerstag in einer Resolution fordern, dass die Gespräche über einen Beitritt des Landes zur EU eingefroren werden. Zu gravierend seien derzeit ihre Bedenken mit Blick auf den Rechtsstaat und die Menschenrechtslage in dem Land.
Seit dem Putschversuch wurden nach Medienangaben mehr als 36.000 Menschen in Untersuchungshaft genommen. Mehr als 75.000 zivile Staatsbedienstete und Angehörige der Sicherheitskräfte wurden entlassen, Tausende weitere suspendiert. Die türkische Regierung wirft ihnen Verbindungen zur Bewegung um den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen vor, die sie für den Putschversuch verantwortlich macht.
Die größten Fraktionen des Europaparlaments hatten sich schon kurz nach der Plenardebatte am Dienstagabend auf einen gemeinsamen Text für die Resolution geeinigt. Danach wird nicht nur ein „vorübergehendes Einfrieren“ der Beitrittsgespräche gefordert, sondern auch eine automatische Suspendierung, sollte die Türkei die Todesstrafe wiedereinführen.
Wird die EU-Kommission der Aufforderung folgen?
Das wäre eine Eskalationsstufe höher, da die Mitgliedstaaten dann einstimmig für eine Wiederaufnahme der Gespräche stimmen müssten. Der Türkei-Berichterstatterin des Europaparlaments, Kati Piri, zufolge käme dies einem Abbruch der Verhandlungen gleich.
Die EU-Kommission, die die Beitrittsverhandlungen führt, ist nicht an die Aufforderung des Parlaments gebunden. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hatte sich zuletzt dafür ausgesprochen, die Gesprächskanäle offenzuhalten. Auch unter den Mitgliedstaaten herrscht eher Zurückhaltung.
Wenig diplomatisch zeigte sich dagegen der türkische Staatspräsident. Bevor die EU-Abgeordneten überhaupt abstimmten, erklärte er schon seine tiefe Missachtung. „Ich rufe allen, die uns vor den Bildschirmen zusehen, und der ganzen Welt zu: Egal wie das Resultat ausfällt, diese Abstimmung hat für uns keinen Wert“, sagte Erdogan am Mittwoch in Istanbul.
von
Günter Schwarz – 24.11.2016