Schmierentheater Schleswig – nun ist Gottorf dran
Der Abriss des historischen Theatergebäudes am Lollfuß gilt als Meilenstein des kulturellen Niederganges der Stadt Schleswig und einer sehr zweifelhaften Kulturpolitik. (Karikatur: Alexandra Lembrecht für SH-UgeAvisen)
Kulturelle Empörung – kurze Halbwertzeit an der Schlei
Die Wellen der Bestürzung schlugen hoch, als das Schleswig-Holsteinische Landestheater vor 2 Jahren damit drohte, seinen Spielbetrieb in Schleswig einzustellen zu müssen, da das traditionsreiche Theatergebäude am Lollfuß aufgrund von Baufälligkeit nicht mehr nutzbar war. Die fehlenden Mittel für eine Sanierung avancierten zu einem Politikum, welches im Februar 2014 in einer dramatischen Ratsversammlung gipfelte, in welcher sich Schleswig letztlich gegen einen Theaterneubau am Hesterberg positionierte.
Noch während viele Schleswiger den drohenden Abriss ihres Theatergebäudes betrauerten, griffen Baumaßnahmen eines neuen Depots am Hesterberg zugunsten des Landesmuseums, nach einer Machbarkeitsstudie, die bereits Jahre vorher, von dem damals amtierenden Bürgermeister Thorsten Dahl, in Auftrag gegeben wurde. Zusätzliche Mittel für eine Sanierung des alten Theatergebäudes wurden vom Land nicht zur Verfügung gestellt. Das Theatergebäude am Lollfuß fiel der Abrissbirne zum Opfer.
Heute – zwei Jahre später – ist von einem Theater in Schleswig keine Rede mehr. Das Landestheater hat sich arrangiert, zusätzliche Kosten zwischen sechs und zwölf Millionen Euro brauchten von Stadt oder Land nicht aufgewendet werden… niemand spricht noch von dem verlorenen Theater.
Das Land traf keine Schuld.
Als das Theatergebäude abgerissen wurde, richtete sich die kollektive Empörung weitestgehend gegen die Kulturministerin Anke Spoorendonk, da sie seinerzeit weitere Mittel aus dem Landeshaushalt für eine Sanierung versagte. Nachträglich betrachtet, hat das Land allerdings sehr wohl erhebliche Mittel zur Verfügung gestellt: nämlich die Liegenschaft Hesterberg. Inklusive einer Räumung des dort vorher befindlichen Museums für Volkskunde. Die Entscheidung gegen einen Neubau wurde von der Schleswiger Ratsversammlung getroffen. Spoorendonk könnte lediglich vorgeworfen werden, die Übergabe der Liegenschaft nicht ausdrücklich mit einer Nutzung für ein neues Theater belegt zu haben.
Gottorf: 30 Millionen für Glas-Treppenhaus?
Die Kultur stirbt nicht in der Vikingerstadt Schleswig. Mit einem Ideenkonzept für Architektur wurde nun der Plan für einen futuristischen Glasanbau an das Gebäude des Landesmuseums Schloss Gottorf begrüßt. In seiner achthunderjährigen Geschichte wurde aus einer mittelalterlichen Burg eine Renaissancefestung und schließlich ein Barockschloss. Als größtes Schloss des Bundeslandes vermittelt Gottorf mit seiner wuchtigen Fassade noch immer einen imposanten Eindruck. Nun erhält das Schloss an seiner Rückseite einen neuen Haupteingang, um das Museum „konzeptionell zu erneuern; da die nachwachsenden Generationen andere Ansprüche an Inhalte, Didaktik und Erlebnisqualität stellen“. Bei dem geplanten Anbau handelt es sich auch nicht nur etwa um ein Glas-Treppenhaus, sondern um einen funktionalen Anbau. Finanziert werden die geschätzten Kosten von 30 Millionen Euro aus Mitteln des Landes und des Bundes.
Anbau wird scharf kritisiert
Während der Ministerpräsident Torsten Albig die tollen Ideen für ein „neues“ Schloss Gottorf beklatscht, werden die Pläne des Neubaus von kulturinteressierten Schleswigern teilweise scharf kritisiert. Insbesondere in den sozialen Medien verhärten sich die Fronten. Während die Befürworter das Konzept für einen wundervollen Schritt in die Moderne halten, fürchten Kritiker, dass man das historische Erbe durch solche Anbauten verschandele. Jens Nielsen, der sich schon seit Jahren sehr aktiv für die Erhaltung von Baudenkmälern in Schleswig einsetzt, hat hierzu eine Online-Petition ins Leben gerufen, auf der sich Gegner des Umbaus für die Erhaltung des Schlosses in seiner historischen Originalität beteiligen Können.
Partizipation fehlt in Schleswig völlig – das führt zu unnötigen Spannungen
„Viele kulturelle Einrichtungen sind sehr um Partizipation bemüht. Insbesondere bei darstellenden und performativen Künsten gilt es, den Zuschauer aus dem Dunkel des Parketts zu lösen. Dabei wird oft vergessen, dass sich Theater in seinem Konzept kaum von anderen kulturellen Praktiken unterscheiden. Der Zuschauer im Theater fühlt sich wohler, wenn er das Stück versteht, ein Teil der Aufführung ist und wenn er auch einen persönlichen Nutzen in einem Theaterbesuch klar erkennen kann. Das Überwinden solcher Zugangsbarrieren ließe sich auf unendlich viele Bereiche übertragen. Schlechtes Theater macht den Zuschauer passiv, indem es ihm offensichtliche Trugbilder vorgaukelt, die er für wahr nehmen soll. Gutes Theater schafft diese Illusion ab und bindet die Zuschauer an eine gemeinsame und offene Erfahrung. Diese Idee kann man auf jedes Theater, jedes Museum, jede Fernsehshow, ja selbst auf die Politik anwenden. Nichts enttäuscht einen Zuschauer mehr, als wenn er merkt, dass ständig nur so getan wird als ob.“
, sagt Olga Gronchar, Schauspielerin und Dramaturgin.
Dieses Gefühl hat sich in Schleswig schon lange eingestellt. Das Land stellt eine Liegenschaft für ein Theater zur Verfügung – der Stadtrat befindet in seinem unermesslichen Ratschluss, dass die Fläche einer anderen Nutzung zugeführt werden soll – und das Theater verschwindet… sang- und klanglos.
Ein Komitee aus „hohen Herrschaften“ vergibt einen 30-Millionen-Auftrag an einen Schweizer Architekten mit der Begründung von „Didaktik und Erlebnisqualität“ – und übergeht dabei jeden Einwand etwaiger historischer Authentizität.
Die Zuschauer, also die Bürger aus Schleswig und Schleswig-Holstein, werden dabei weder mitgenommen, abgeholt, noch eingebunden. Sie bleiben im Dunkel des Parketts und schauen sich die schlechten Illusionen des Schmierentheaters-Schleswig an. Und natürlich merkt jeder, dass nur so getan wird als ob.
von
Michael Schwarz – 7.12.2016