Die Pläne für den Umbau des politischen Systems der Türkei werden wieder ein Stück umfassender: Wie heute bekannt wurde, soll Staatschef Recep Tayyip Erdoğan im geplanten Präsidialsystem Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen können. Das kündigte Ministerpräsident Binali Yildirim nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu von Dienstag auf einem Flug nach Moskau an.

Das ist jetzt schon möglich – allerdings nur aufgrund des Ausnahmezustands, der vorerst bis Mitte Januar gilt. Ein Referendum über das neue politische System scheint bereits sicher. Teile der Opposition warnen erneut vor einer „Diktatur“.

Unter dem nach dem Putschversuch von Mitte Juli verhängten Ausnahmezustand kann Erdoğan die Türkei fast uneingeschränkt per Dekret regieren. Erdoğans und Yildirims islamisch-konservative Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) und die kleinste Oppositionspartei MHP – deren Chef Devlet Bahceli ein Präsidialsystem unterstützt – haben gemeinsam genügend Stimmen im Parlament, um ein Referendum darüber in die Wege zu leiten.

Oppositionsparteien besorgt

Die beiden anderen Oppositionsparteien im Parlament – die Mitte-links-Partei CHP und die prokurdische HDP – warnen dagegen vor einer „Diktatur“. Auch in der Europäischen Union wird Erdoğans Machtzuwachs mit Sorge beobachtet. Yilidirm rechnet mit einer Volksabstimmung über das Präsidialsystem zu Beginn des nächsten Sommers. Er sagte, nach der geplanten Verfassungsreform solle der Präsident den Entwurf für den Haushalt der Regierung einbringen.

Andere Gesetzesentwürfe sollten weiterhin vom Parlament kommen. Welche Angelegenheiten durch Dekret des Präsidenten und welche durch Gesetze des Parlaments geregelt würden, werde in dem Entwurf für die Verfassungsänderung dargelegt. Außerdem solle der Präsident künftig einer Partei angehören dürfen. Bisher schreibt die Verfassung dem Staatschef parteipolitische Neutralität vor.

Die Dienstag-Ausgabe der Zeitung „Hürriyet“ berichtete gar, dem Präsidenten solle künftig nicht nur eine Parteimitgliedschaft, sondern auch die Übernahme eines Parteivorsitzes erlaubt werden. Der Präsident und das Parlament sollten künftig zum selben Termin für jeweils fünf Jahre gewählt werden. Die Amtszeit des Präsidenten solle auf zwei Legislaturperioden beschränkt werden.

Yildirim hatte vor seiner Abreise bekräftigt, dass seine AKP den Entwurf für die Verfassungsänderung noch in dieser Woche ins Parlament einbringen wolle. Das werde nach seiner für Mittwoch geplanten Rückkehr aus Moskau geschehen. Er und MHP-Chef Bahceli arbeiteten noch an „technischen Details des Verfassungsentwurfs“.

Die AKP und die ultranationalistische MHP haben gemeinsam 356 Stimmen im Parlament. Eine 60-Prozent-Mehrheit von 330 Stimmen ist für ein Referendum nötig. Mit einer Zweidrittelmehrheit (367 Sitze) wäre eine Verfassungsänderung auch ohne Referendum möglich. Yildirim und Erdoğan haben aber angekündigt, in jedem Fall das Volk abstimmen zu lassen. Der Ausnahmezustand gilt derzeit bis Mitte Januar, kann aber verlängert werden.

Seit seinem Amtsantritt im August 2014 bestimmt Erdoğan den Kurs der Regierung und der AKP, obwohl diese Rollen in der Verfassung eigentlich dem Ministerpräsidenten und Parteichef vorbehalten sind. Mit der Verfassungsänderung soll Erdoğans Führung legalisiert werden. Erdoğan strebt seit Langem ein Präsidialsystem mit sich selbst an der Spitze an.

von

Günter Schwarz – 07.12.2016