Polen gehen auf die Barrikaden
(Warschau) – Polens Regierung will weniger Journalisten im Parlament zulassen – eigentlich ist dieses Vorhaben ein alter Hut, denn schon frühere Regierungen nahmen dazu den Anlauf und unternahmen den Versuch, die Presse möglichst außen vor zu lassen. Jetzt aber sorgt es im Land für Proteste.
„Er habe sich im Sejm, dem Parlament, schon öfters den Kopf an einer Kamera angeschlagen“, sagte Polens starker Mann Jaroslaw Kaczynski, um zu rechtfertigen, warum er die meisten Journalisten aus dem Parlament nun verbannen will.
Tatsächlich arbeiten im Parlament enorm viele Journalisten. Auch unter früheren Regierungen gab es bereits Versuche, ihre Zahl reduzieren. Somit wurde also eigentlich nur ein altes Anliegen aufgenommen – und endlich umgesetzt.
Das Misstrauen ist begründet
Nun könnte man sich fragen, wie das getan wurde? Doch mit solchen Feinheiten hält sich in Polen niemand mehr auf – auch nicht die Opposition. In den Augen ihrer Kritiker hat diese Regierung längst jedes Vertrauen verloren. Darum besteht jetzt der Verdacht, es gehe ihr nicht um bessere Arbeitsbedingungen für Parlamentarier und Journalisten, sondern um Zensur und darum, ihre eigenen Leute vor den kritischen Fragen unliebsamer Journalisten zu schützen.
Das Misstrauen ist begründet. Die neue polnische Regierung hat in Rekordzeit alle Institutionen der demokratischen Kontrolle neu besetzt, umgebaut oder lahmgelegt: das Verfassungsgericht, die Staatsanwaltschaft, die öffentlich-rechtlichen Medien.
Sie will die Mittelvergabe an NGOs (Nicht-Regierungs-Organisationen) systematisch durchkämmen und die Finanzhilfen von den regierungskritischen Gruppierungen zu „patriotischen Vereinen“ umleiten. Ein neues Gesetz, mit dem jede Demonstration hätte verboten werden können, wurde erst auf lauten Protest hin entschärft.
Guter Wandel?
„Dobra zmiana“ (guter Wandel), so nennt die Regierungspartei „Prawo i Sprawiedliwość“ (Recht und Gerechtigkeit) ihr Programm. Ein Name, der nach patriotischer polnischer Ansicht jede Diskussion oder gar Kritik überflüssig macht. Was kann man schon gegen guten Wandel einwenden? Und darum ist der Regierung mit ihren 235 von 460 Sitzen im Parlament auch jedes Mittel recht. Es finden zum Beispiel nächtliche Sitzungen im Parlament wie die von gestern auf heute statt, während denen umstrittene Gesetze im Eilverfahren durchgeboxt werden.
Nun führte ein Vorhaben, für das man gute Gründe anführen könnte – die Senkung der Zahl der Journalisten im Sejm – zu tumultösem Protest. Erst frühmorgens hatte die Polizei die Lage so weit im Griff, dass Parteichef Kaczinsky und Premierministerin Szydlo das blockierte Parlament verlassen konnten. Heute Nachmittag gingen die Demonstrationen in Warschau weiter.
Der gute Wandel führt in den Augen vieler Polen auf eine schiefe Bahn. Wenn Parteichef Kaczynski so unbeirrbar, autoritär und undemokratisch weitermacht, ist demnächst mit schwereren Konflikten in Polen zu rechnen, die an Zeiten erinnern werden, als das polnische Volk das Joch der kommunistischen Bevormundung abschüttelte.
von
Günter Schwarz – 17.12.2016