(Berlin) – Nach dem Lastwagen-Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz ist der zunächst festgenommene Verdächtige wieder frei. Die bisherigen Ermittlungsergebnisse hätten keinen dringenden Tatverdacht gegen den Beschuldigten ergeben, teilte die Bundesanwaltschaft am Abend in Karlsruhe mit. Der Mann habe in seiner Vernehmung umfangreiche Angaben gemacht, eine Tatbeteiligung jedoch bestritten. Augenzeugen hätten den Lastwagenfahrer nach dem Anschlag nicht lückenlos verfolgt, die kriminaltechnischen Untersuchungen hätten außerdem keinen Beleg erbracht, dass der Mann im Führerhaus des Lastwagens gewesen sei.

Kurz nach der Tat wurde ein 23 Jahre alter Mann in der Nähe der Siegessäule festgenommen, der aus Pakistan kommen soll. Die Ermittler hatten jedoch schon am frühen Nachmittag Zweifel daran geäußert, dass es sich bei dem Festgenommenen tatsächlich um den Täter handelt. „Es ist in der Tat unsicher, dass es der Fahrer war“, hatte Berlins Polizeipräsident Klaus Kandt am Dienstag auf einer Pressekonferenz gesagt.

Im Führerhaus des Lkw wurde nach Angaben aus Sicherheitskreisen blutverschmierte Kleidung gefunden – bei dem später in einiger Entfernung vom Tatort festgenommenen Verdächtigen dagegen nicht. Ob dies darauf hindeuten könnte, dass der Mann noch im Lkw die Kleidung gewechselt haben könnte, blieb zunächst unklar. Auch wurden am Tatverdächtigen keine Schmauchspuren festgestellt, die er hätte haben müssen da der Fahrer des Lkws den polnischen Fahrer des Trucks erschossen hatte.

Der Mann, der den Anschlag tatsächlich verübt hat, dürfte somit noch auf freiem Fuß sein. Er war am Montagabend mit einem entführten Lastwagen in den Weihnachtsmarkt nahe der Gedächtniskirche im Herzen Berlins gerast. Zwölf Menschen fielen dem Anschlag zum Opfer, rund 50 wurden – oft lebensgefährlich – verletzt. Letzten Angaben zufolge sollen 23 verletzte Weihnachtsmarktbesucher inzwischen von der stationären Behandlung aus den Krankenhäuser wieder entlassen sein. Allerdings befinden sich 16 Personen noch in einem kritischen Zustand.

Man sei „hochalarmiert“ sagte der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch. Aus dem Ziel und dem Vorgehen des Täters könne man auf ein islamistisches Motiv schließen, meinte Frank. Man müsse aber weiter in alle Richtungen ermitteln. Berlins Polizeipräsident Klaus Kandt sagte, es sei möglich, dass der gefährliche Täter noch im Raum Berlin unterwegs sei. Die sei aber bundesweit nun nicht größer als vor der Tat.

Die CDU ging am Dienstagvormittag „nach jetzigem Stand“ von einem Terroranschlag aus und äußerte sich zutiefst erschüttert. Ein ganzes Land sei in Trauer vereint. Merkel fügte hinzu: „Wir wollen nicht damit leben, dass uns die Angst vor dem Bösen lähmt. Auch wenn es in diesen Stunden schwerfällt: Wir werden die Kraft finden für das Leben, wie wir es in Deutschland leben wollen – frei, miteinander und offen.“

Merkel dankte den Ermittlern, die dabei seien, „diese unselige Tat aufzuklären“. Sie versprach: „Sie wird aufgeklärt werden – in jedem Detail, und sie wird bestraft werden, so hart es unsere Gesetze verlangen.“ Nach ihren Worten wäre es besonders schwer zu ertragen, wenn der Täter tatsächlich in Deutschland um Schutz und Asyl gebeten hat. „Dies wäre besonders widerwärtig gegenüber den vielen, vielen Deutschen, die tagtäglich in der Flüchtlingshilfe engagiert sind und gegenüber den vielen Menschen, die unseren Schutz tatsächlich brauchen und die sich um Integration in unser Land bemühen.“

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte: „Die Öffentlichkeit kann sich darauf verlassen, dass die zuständigen Sicherheitsbehörden nicht rasten und nicht ruhen werden, bis vollständige Klarheit über die Hintergründe dieser Tat besteht. Und ich persönlich werde nicht ruhen, bis der oder die Täter gefunden und einer gerechten und harten Strafe zugeführt worden sind.“

Der Anschlag ruft Erinnerungen an die Terrorattacke von Nizza im Juli wach: Dort waren 86 Menschen ums Leben gekommen, als ein Mann mit einem Lastwagen über die Uferpromenade der Mittelmeermetropole fuhr. Für den Anschlag hatte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die Verantwortung übernommen.

Nach dem Anschlag forderte CSU-Chef Horst Seehofer bereits heute eine Überprüfung und Neujustierung der Flüchtlingspolitik. „Wir sind es den Opfern, den Betroffenen und der gesamten Bevölkerung schuldig, dass wir unsere gesamte Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik überdenken und neu justieren“, sagte der bayerische Ministerpräsident in München, womit Seehofer nicht ganz unrecht hat, denn bevor er derartige Forderungen aufstellt, sollte die Tat zunächst aufgeklärt werden, bevor Schuldzuweisungen überhaupt erfolgen können. Seehofer handelt in diesem Fall populistisch und kommt damit den „Schnellschüssen“ der AfD sehr nahe.

Bundespräsident Joachim Gauck beschwor den Zusammenhalt der freiheitlichen Gesellschaft. „Der Hass der Täter wird uns nicht zu Hass verführen. Er wird unser Miteinander nicht spalten», sagte das Staatsoberhaupt. «Unser Zusammenhalt wird nicht schwächer. Er wird stärker, wenn wir angegriffen werden.“

Die Weihnachtsmärkte in Deutschland sollen derweil weiter stattfinden. Die Innenminister von Bund und Ländern sprachen sich gegen eine Absage aus, teilte das Bundesinnenministerium nach einer Telefonschalte der Ressortchefs mit. Mehrere Bundesländer überdenken ihre Sicherheitskonzepte. Der Innenausschuss des Bundestags will am Mittwoch in einer Sondersitzung beraten.

Nach dem Anschlag müssen sich die Fußball-Bundesliga-Clubs und ihre Fans auf zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen einstellen. „Die Vereine sind sensibilisiert und treffen in enger Abstimmung mit den lokalen Netzwerkpartnern und insbesondere der Polizei möglicherweise erforderliche Zusatzmaßnahmen“, sagte Hendrik Große Lefert, der Sicherheitsbeauftragte des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Dies könnten intensivere Kontrollen oder verstärkte Ordner- und Polizeipräsenz sein.

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Günter Schwarz mit Material der dpa – 21.12.2016