Die Berliner Polizei hat den zur Fahndung ausgeschriebenen Verdächtigen des Anschlags auf einen Weihnachtsmarkt monatelang wegen Terrorverdachts observiert. Bei den Ermittlungen gegen den 24-jährigen Tunesier sei es um Informationen gegangen, wonach Anis Amri einen Einbruch plane, um sich dabei Mittel für den Kauf automatischer Waffen zu beschaffen – möglicherweise, um damit später einen Anschlag zu begehen, so die Generalstaatsanwaltschaft am Mittwoch. Der Verdacht habe sich aber nicht erhärtet. Zudem scheiterte die geplante Abschiebung Amris nach Tunesien, weil dieser keine gültigen Papiere hatte.

Der dringend Tatverdächtige für den Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt, Anis Amri, ist wegen Terrorverdachts von März bis September in Berlin überwacht worden. Das teilte die Berliner Generalstaatsanwaltschaft am Mittwochabend mit. Zudem scheiterte seine geplante Abschiebung.

Gegen den Tatverdächtigen wurde wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat, also wegen Terrorverdachts, ermittelt, wie der Innenminister des Bundeslandes, Ralf Jäger (SPD), am Mittwoch sagte. Amri sei von März bis September observiert worden.

Bei den Ermittlungen sei es um Informationen gegangen, wonach Amri einen Einbruch plane, um sich dabei Mittel für den Kauf automatischer Waffen zu beschaffen – „möglicherweise, um damit später mit noch zu gewinnenden Mittätern einen Anschlag zu begehen“, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft am Mittwoch. Der Verdacht habe sich aber nicht erhärtet.

Möglicherweise Dealer

Die verdeckte Überwachung habe lediglich Hinweise geliefert, dass Amri als Kleindealer im Görlitzer Park tätig sein könnte, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft. Der Kreuzberger Park gilt als bekannter Drogenumschlagplatz in Berlin. Es habe auch Hinweise auf eine körperliche Auseinandersetzung in einer Bar gegeben, vermutlich wegen eines Streits in der Dealerszene.

Diese Erkenntnisse wurden den Angaben zufolge zur Strafverfolgung den zuständigen Dienststellen weitergeleitet. Für den ursprünglichen Verdacht, dass Amri sich mit einem Einbruch Geld für einen möglichen Anschlag beschaffen wollte, habe es aber keine Hinweise gegeben – trotz Verlängerung der Überwachung. Deshalb musste die Observation den Angaben zufolge im September beendet werden.

Schule in Italien angezündet?

Amri, für den die Ausländerbehörde in Oberhausen zuständig sei, habe in Berlin zu diesem Zeitpunkt „nicht mehr festgestellt“ werden können, erklärte die Ermittlungsbehörde. Man habe keine Verbindungen zu seinen früheren Kontaktpersonen mehr beobachtet, der Mann sei auch an den bekannten Anlaufstellen, „namentlich einer relevanten Moschee“, nicht mehr angetroffen worden.

Die Ermittlungen dazu seien in Berlin geführt worden. Dort habe der Verdächtige seit Februar 2016 seinen Lebensmittelpunkt gehabt. Die Sicherheitsbehörden hätten ihre Erkenntnisse über ihn im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum ausgetauscht, zuletzt im November 2016. Vor seiner Einreise nach Deutschland soll er vier Jahre in einem italienischen Gefängnis verbracht haben, berichtete der tunesische Radiosender Mosaique unter Berufung auf den Vater des Mannes und auf Sicherheitskreise. Dort soll er eine Schule angezündet haben.

Amri hätte abgeschoben werden sollen

Zudem sei Amri im Juni 2016 als Asylwerber abgelehnt worden. „Der Mann konnte aber nicht abgeschoben werden, weil er keine gültigen Ausweispapiere hatte“, sagte Jäger. Tunesien habe lange Zeit bestritten, dass es sich bei dem Mann um einen Tunesier handle. Die für die Abschiebung wichtigen tunesischen Ausweispapiere seien erst zwei Tage nach dem fatalen Berliner Anschlag bei den deutschen Behörden eingetroffen, betonte der Minister.

Amri soll im Juli 2015 über Freiburg nach Deutschland eingereist sein. Auf die Spur des Verdächtigen und nach Nordrhein-Westfalen waren die Ermittler offenbar durch Dokumente, die laut Medien in dem zur Tat benutzten Lkw gefunden worden waren, gekommen. Die Dokumente seien im Kreis Kleve in Nordrhein-Westfalen ausgestellt worden, hieß es in Zeitungsmeldungen.

Wohnung in Berlin gestürmt

Indes wird weiter mit Hochdruck nach Amri gefahndet. Ein Spezialeinsatzkommando der Berliner Polizei hat einem Medienbericht zufolge gegen 20.00 Uhr zeitgleich zwei Wohnungen gestürmt, darunter eine an der Großbeerenstraße in Kreuzberg.

Das berichtet die „Welt“ unter Berufung auf Ermittlerkreise. Bei der Razzia sei ein Mann überwältigt worden. Dabei handle es sich laut Ermittlern aber nicht um den europaweit gesuchten Amri Der Tunesier wurde allerdings in einer der beiden Wohnungen vermutet. Ein ranghoher Beamter gehe davon aus, dass Amri die Flucht ergriffen hat.

„Hoch mobil“ und Salafistenkontakte

Beim Attentat waren zwölf Menschen getötet und 50 weitere teils schwer verletzt worden. Eine Tatbeteiligung des Mannes sei aber noch nicht geklärt, sagte Jäger am Mittwoch zudem in Düsseldorf. Der Verdächtige sei von den Behörden als „Gefährder“ eingestuft worden. Er sei „hoch mobil“ gewesen und verschiedenen Sicherheitsbehörden wegen Kontakten zur Salafistenszene aufgefallen. Wie „Focus“ unter Berufung auf Akten der Bundesanwaltschaft berichtet, soll das Netzwerk seit 2015 Anschläge in Deutschland geplant haben.

Amri soll bereits im Juli 2015 über Freiburg nach Deutschland eingereist sein. „Er war dann nach Baden-Württemberg auch in Berlin und in Nordrhein-Westfalen“, sagte Jäger. „Seit Februar 2016 hatte er seinen Lebensmittelpunkt überwiegend in Berlin, zuletzt war er nur kurz in NRW“, so Jäger. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur AFP wurden die Eltern des Verdächtigen von einer tunesischen Anti-Terror-Einheit befragt.

Direkter Zusammenhang mit IS?

Zwar reklamierte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) den Angriff auf den Weihnachtsmarkt für sich. Allerdings steht bisher nicht fest, ob wirklich eine so weit verzweigte Organisation hinter dem Anschlag steht oder der Täter auf eigene Faust handelte. Der IS hatte über sein Sprachrohr Amaq verbreitet, der Angriff sei eine Reaktion auf Aufrufe gewesen, die Bürger von Staaten der Anti-Terror-Koalition anzugreifen.

Lkw-Fahrer kämpfte bis zuletzt mit Täter

Unter Berufung auf den Obduktionsbericht des getöteten Lkw-Fahrers Lukasz U. berichtete die deutsche „Bild“-Zeitung (Onlineausgabe) Mittwochfrüh, dass der Angestellte einer polnischen Spedition wohl bis zuletzt mit dem Täter gekämpft und viele Menschenleben gerettet habe.

„Es muss einen Kampf gegeben haben“, zitierte die Zeitung einen der Ermittler. Der Fahrer habe zum Zeitpunkt des Attentats noch gelebt. Offenbar habe der Täter mehrfach auf den Fahrer eingestochen, weil der Pole ins Lenkrad gegriffen habe, um Menschenleben zu schützen. Erschossen worden sei der Mann, als der Lkw zum Stehen kam. Zuvor hatte bereits der Cousin des Mannes, dem die Speditionsfirma gehört, von Kampfspuren an der Leiche des Mannes berichtet. Er hatte ihn anhand von Polizeifotos identifizieren müssen.

von

Günter Schwarz – 22.12.2016